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Meister Eisbären: Das neue Berlin gewinnt

Die Eisbären sind deutscher Eishockeymeister geworden, zum vierten Mal in fünf Jahren. Das ist mehr als nur eine interessante Nachricht aus dem Sport. Es ist eine Nachricht aus der neuen Mitte Berlins.

Die Dominanz des Vereins in seiner Sportart ist nur ein Teil der Erfolgsgeschichte. Der andere ist: Im September sind die Eisbären ausgezogen aus ihrer alten Nische im Ost-Berliner Bezirk Hohenschönhausen. Die Eisbären haben sich eine neue Heimat in der Großarena am Ostbahnhof geschaffen, genau an der Nahtstelle von Ost und West. Dort haben fast eine halbe Million Menschen in dieser Saison Eishockeyspiele gesehen. Die Klubhymne „Hey, wir wollen die Eisbären sehen“ wird auf Mallorca und in Almhütten gedudelt. Zwei Drittel der Deutschen kennen laut einer Umfrage die Eisbären, sie sind der populärste deutsche Klub außerhalb des Fußballs. Die Eisbären sind angekommen in einem neuem Berlin. Mehr noch: Sie prägen das neue Berlin mit.

Die Berliner Schnauze weiß es ja oft besser. Rotzig großkotzig kündigt sie gern an, kleinlauter wird’s, wenn es ans Realisieren geht. Neues wird oft mit Skepsis begleitet. Das war bei den Eisbären nicht anders, dem verschrobenen Kiezklub aus dem Neubaugebiet. Ein Verein, der früher in der DDR unter „Dynamo“ firmierte – war da nicht was mit Stasi-Vergangenheit? Nicht ganz. Eishockey hatte in der DDR keine große Lobby, bis zur Wende war die Liga auf zwei Klubs geschrumpft. Erich Mielkes Klub, Dynamo Berlin, war dabei. Auch nach dem Umbruch wirkten die Eisbären lange wie eine lustige, aber irgendwie auch piefige Truppe mit ihren 5000 eingefleischten Fans, die „Ost-, Ost-, Ost-Berlin“ brüllten und immer noch „Dynamo, Dynamo“ – und die ihre Eishockeybutze einfach Wellblechpalast nannten. Hohenschönhausen war No-go- Area für fast alle sportbegeisterten Berliner aus dem Westteil der Stadt. Und plötzlich maßte sich dieser Ostklub also an, in eine moderne Multifunktionsarena umzuziehen, die auch noch von einem US-Milliardär finanziert wird? Das klappt doch nie, das interessiert doch keinen! Da kommen ja nicht mal mehr die 5000 harten Fans! So wusste es die Berliner Schnauze.

Doch es kam anders, etwas Neues passierte. Der Oberrang der Großarena musste nicht abgehängt werden. Bei jedem der mehr als 30 Saisonspiele kamen mehr als 13 000 Menschen. Die alten Eisbären gingen auf im neuen Publikum. Nun klatscht der Familienvater aus Zehlendorf auf seinem Polstersessel im gleichen Takt wie der harte Stehtribünen-Fan aus Hohenschönhausen. Weil Berlin eben gerne gewinnt, und das machen die Eisbären zuverlässig. Wer sich mit dem Klub identifiziert, weiß, dass er bei der Nummer eins zu Hause ist. In der deutschen Hauptstadt ist das nicht selbstverständlich. Hier ist das zweitgrößte Fußballstadion des Landes selten ausverkauft, hier ist der drittgrößte Flughafen noch lange nicht fertig.

Die Eisbären stehen für einen Mentalitätswandel. Ihre Größe kommt mit einer für Berlin atypischen Bescheidenheit daher. Als die Mannschaft im Halbfinale vom Gegner Mannheim ordentlich verdroschen wurde, meckerte und klagte sie nicht, sondern schlug in den folgenden Spielen zurück – mit sportlichen Mitteln. Das zeigt Reife und ein Selbstbewusstsein, das nicht aufgesetzt ist.

Natürlich ist Erfolg auch im Sport nicht nur das Ergebnis harter Arbeit. Geld ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Geld haben die Eisbären in den vergangenen Jahren reichlich bekommen, von ihrem Eigner Philip Anschutz. Der Mann kommt nicht aus dem Berliner Osten, sondern aus Denver im US-Bundesstaat Colorado. Amerikanischer Kapitalismus bei einem ehemaligen sozialistischen Klub? Diese Luftbrücke hat funktioniert und sie ist kein Problem im neuen, weltoffenen Berlin der Eisbären. Die harten Fans rufen weiter „Dynamo“ und 10 000 Zuschauer klatschen mit, ein bisschen Wellblech im Herzen bleibt erlaubt. Inzwischen aber ertönt ein anderer Schlachtruf in der neuen Heimat viel häufiger: „Berlin, Berlin, Eisbären Berlin.“

Berlin gewinnt dazu, weil die Eisbären dazugewinnen.

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