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Griechenlands Regierungschef Papandreou muss sich von seinen Amtskollegen - zum Beispiel von Kanzlerin Merkel - einiges gefallen lassen.

© dpa

Merkel und Athen: Nicht einmal die Euro-Krise erschüttert die EU

Wenn Griechenland Geld von der EU, bekommt es Ermahnungen mit auf den Weg. Das ist Folge der europäischen Idee. Merkels Forderung, das Rentenalter anzugleichen, ist deshalb kaum als anti-europäisch zu bezeichnen.

Keiner spricht mehr wie Kohl. Helmut Kohl hätte gesagt: „Egal wie viel Geld die Griechen brauchen, dieses großartige historische Projekt ist es wert.“ Angela Merkel sagt: „Es geht auch darum, dass man in Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal nicht früher in Rente gehen kann als in Deutschland, sondern alle sich auch ein wenig gleich anstrengen. Das ist wichtig.“

Es ist das Ende von Europa, wenn die Deutschen nicht mehr reden wie Kohl. Deshalb wird der Kanzlerin anti-europäischer Populismus vorgeworfen, und deshalb diskutiert man schuldbewusst bei Plasberg das deutsche Verhältnis zu den Griechen. Es ist der Anfang von Europa, wenn endlich mal jemand klar und deutlich sagt, wer hier über seine Verhältnisse lebt und wer in diesen Zeiten sogar noch einen staatsfinanzierten Formel-1-Kurs bauen möchte.

Beides ist falsch. Keiner spricht mehr wie Kohl, weil alle längst handeln wie er. Auch Merkel wird weiter Griechenland stützen, was bleibt ihr anderes übrig. Die EU ist längst „too big to fail“: Anders als bei Kohl ist die Einheit der Union inzwischen so weit vollzogen, dass Griechenland eben nicht mehr selbst bestimmen kann, wie es aus der Krise kommt; und der Rest eben keine Wahl mehr hat. Dass die griechische Regierung von der EU und dem IWF gezwungen werden kann, Staatseigentum zu verkaufen, bevor sie mehr Geld bekommt, ist jene Form von übernationaler Politik, die der europäischen Idee eingeschrieben ist. Selbst das Argument, dass die Griechen das Geld ja ohnehin wieder für deutsche Güter ausgeben, zeigt, wie entmündigt Athen als Folge seiner Finanz- und Wirtschaftspolitik längst ist.

Wer von der EU Geld will, dem gibt man, anders als bei der Sparkasse an der Ecke, Ermahnungen mit auf den Weg. Das ist Ausdruck der fortgeschrittenen Integration Europas. Selbst der Europa-Ideologe Jean-Claude Juncker spricht deshalb nicht mehr wie Kohl: „Griechenland muss wissen, dass Solidarität dort an die Grenzen stößt, wo man den Eindruck haben könnte, dass es an der notwendigen Solidität auf der griechischen Seite mangelt.“ Diese Art der politischen Entmachtung mag man peinlich finden, und es ehrt jeden, den das harte Verhandeln mit den Griechen unangenehm berührt. Es ist eine Folge der europäischen Idee. Auch Merkels Forderung, das Rentenalter europaweit anzugleichen, ist kaum als eine anti-europäische Forderung zu bezeichnen.

Das Skandalöse an Merkels lockerer Rede über die Arbeitsmentalität der Griechen ist nicht ein vermeintlicher Populismus, sondern die Illusion, die sie damit nährt: dass durch längeres Arbeiten der Griechen, durch die Anpassung des Rentenalters alles wieder gut wird. Es geht schließlich nicht um die Länge von Arbeitszeit, sondern um Produktivität. Man kann als Hafenarbeiter in Piräus (oder in Kiel) den ganzen Tag rauchend aufs Meer schauen, ohne etwas zu tun.

Das Merkwürdige ist nicht Merkels vermeintliche Stammtischkritik, sondern das Gegenteil. Nicht einmal diese fundamentale Euro-Krise erschüttert offenbar die Union, es geht weiter wie immer. Dabei ist in Griechenland ein Phänomen moderner Demokratien zu beobachten: Die Ansprüche an den Staat nehmen immer weiter zu, zugleich ist es politisch kaum möglich, diese Ansprüche zu enttäuschen. Dieser strukturelle Widerspruch führt zu stetig steigender Staatsverschuldung – in Griechenland, in Deutschland, überall innerhalb der EU. Aber dazu hatte ja schon Kohl nichts zu sagen.

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