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Merkel und EU-Krise: Momente der Ungewissheit

Wenn Angela Merkel, die Nüchterne, den ganz hohen Ton anschlägt, dann ist die Lage für gewöhnlich ernst. Nicht nur die des Landes, nicht nur die des vereinten Europa, sondern auch die Lage der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden.

Von Robert Birnbaum

Wenn Angela Merkel, die Nüchterne, den ganz hohen Ton anschlägt, dann ist die Lage für gewöhnlich ernst. Nicht nur die des Landes, nicht nur die des vereinten Europa, sondern auch die Lage der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden. Merkel hat in ihrer Regierungserklärung zur Hilfe für Griechenland das Europa Helmut Kohls beschworen, das Europa, das das Zeitalter der Kriege beendet und den Wohlstand gebracht hat. Dieses Europa am Scheideweg – das wäre ernsthaft ernst.

Richtig ist an diesem Pathos, dass es zur Rettung Griechenlands keine ernsthafte Alternative gibt. Erstens aus Prinzip – Europa als Gemeinschaft wäre sonst sofort am Ende. Die Griechen haben betrogen, ja, aber sie büßen bitter dafür. Zweitens aus Vernunft – wer den Finanzmärkten das eine Land zum Fraß vorwirft, nährt nur ihren Appetit auf die nächste Beute. Es geht wirklich nicht um Athen, sondern längst um ganz Europa.

Das Dumme ist, dass das alles vor ein paar Wochen und Monaten auch schon stimmte. Merkel führt eine Reihe von politischen und juristischen Gründen dafür an, dass sie sich gegen eine schnelle europäische Rettungsaktion gesträubt hat. Keiner dieser Gründe ist ganz falsch, aber selbst in der Summe sind sie nicht absolut zwingend. Einiges spricht dafür, dass Merkel gehofft hat, dass Griechenland sich die nötigen Kredite noch auf lange Zeit – weit über den Landtagswahltermin in NRW hinaus, vielleicht dauerhaft – selbst würde beschaffen können. Zeitweise hat das ja gut funktioniert. Bis die Griechen ihren Schuldenstand noch mal korrigieren lassen mussten. Die Summe war nicht groß, das Signal fatal. Die Märkte, stets auf der Lauer, schlugen sofort in die Kerbe. Von da an ging es mit der Hilfe nur noch sehr, sehr schnell.

Klar, dass die Opposition in die politischen Kerben haut, die dieses Krisenmanagement eröffnet. Selbstverständlich, dass SPD, Grüne und Linke die Gelegenheit nutzen und die Koalition in den Verdacht rücken, dass sie die Finanzhaie gar nicht in den Käfig sperren und die Banken ungeschoren lassen wollten.

An diesem Punkt kommt das taktische Moment des Merkel’schen Pathos ins Spiel. Die Kanzlerin versucht, insbesondere die SPD in die europäische Pflicht zu nehmen. Die Sozialdemokraten stecken ja in einem logischen und politischen Dilemma. Wer von anderen schnelle Hilfe fordert, kann sie nicht selbst verweigern. Wer anderen Schielen auf den Boulevard vorhält, muss selbst jeden Populismusverdacht vermeiden.

Schwer vorstellbar also, dass die SPD am Freitag im Bundestag dem Rettungspaket nicht zustimmt und das allen Ernstes damit zu begründen versucht, dass in einer rechtlich unverbindlichen Entschließung des Parlaments das Wort „Finanzmarkttransaktionssteuer“ nicht vorkomme. Nein, die Kanzlerin kann bis zum Beweis des Gegenteils auf die Gemeinsamkeit der Demokraten setzen.

Und die CDU-Vorsitzende braucht dieses Signal, um das Thema Griechenland parteipolitisch wenigstens ein wenig zu neutralisieren. Der Wahlsonntag in Nordrhein-Westfalen wird für sie schwer genug. An ein schwarz-gelbes Wunder glaubt keiner mehr, eine große Koalition an Rhein und Ruhr gilt in der CDU längst als noch relativ erfreuliche Aussicht. Die Griechenlandkrise bringt ein neues Moment der Ungewissheit in alle Kalkulationen. Merkel hat sich in den letzten Tagen in den Kampf gestürzt, mit aller Energie und mit dem Pathos der Verzweiflung. Bleibt der Absturz aus, wird es ihr Sieg. Sonst wird es ihr Problem.

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