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Merkels Regierung: Ein Kabinett als Kabarett

Ob diese Regierung die schlechteste ist, die jemals Kanzleramt und Ministerien besetzt hielt, steht noch nicht fest. Es hat allerdings noch keine gegeben, die schlimmer begonnen hat. Anstatt in der Sache zum Punkt zu kommen, steht die Ästhetik des eigenen Auftritts im Vordergrund.

Schwierigkeiten hatten zwar einige in den Wochen nach einer erfolgreichen Wahl, vorneweg diejenige unter der Führung von Gerhard Schröder mit ihrer selbstverliebten rot-grünen Brionisierung der Politikdarstellung. Helmut Kohl tapste mehr ins Amt, als dass er brillierte, und der Beginn von Willy Brandts sozialliberaler Koalition wird heute mehr verklärt, als ihrer Geschichte entspricht. Kiesinger und Erhard hatten unangenehme Schwierigkeiten mit der Organisation ihres Verwaltungsapparats, und Adenauer – ach ja, damals. Aber eine derartige koalitionäre Unlust, eine so offensichtliche Orientierungslosigkeit auf der einen, der Unionsseite, und eine so maßlos wirklichkeitsferne, überhebliche Trotzigkeit auf der anderen, der liberalen Seite – das hat es noch nicht gegeben. Wenn sie doch bloß nicht darüber auch noch lamentieren würden!

Doch so erschöpft sich die Koalition, dieses gemeinsame Wunschbündnis, in einer Parodie von Metapolitik, bei der die Ästhetik des eigenen Auftritts im Vordergrund steht. Anstatt in der Sache zum Punkt zu kommen, werden Haltungsnoten missgönnt und gesammelt, als gelte es, schon wieder um Wähler zu werben. Doch das Publikum mag dieses Stück aus dem Surrealitätenkabinett der Angela Merkel als solches schon jetzt nicht mehr hören und sehen. Als wäre das Ganze ein Kabarett, feiert man dort als größte Leistung einen Wirtschaftsbeglückungsversuch, der unter dem allmächtigen Namen Wachstumsbeschleunigungsgesetz bei den Bundesländern teuer erkauft werden muss. Wahrhaftig ein großer Wurf, der zur Abwehr fremdländischer Touristenwerber den heimischen Hoteliers einen verminderten Satz der Mehrwertsteuer verspricht. Der Staatsmann Guido Westerwelle, seit dem Jahreswechsel Propagandist einer geistig-politischen Wende, findet das „erstklassig gelungen“. Auch von dieser Stelle den erfolgreichen Lobbyisten einen herzlichen Glückwunsch.

Der Ruf nach einem Neustart ist noch der ehrlichste Beitrag dieses regierungsamtlichen Atonal-Festivals. Vor allem bei der Steuerpolitik funktionieren die Programme nicht miteinander; die Bugs sind allerdings schon im Handbuch angelegt: Der Koalitionsvertrag selbst ist der Systemfehler. Da hilft ein einfaches Reset nicht weiter. Zudem ist der ganze Apparat vom Scheinheiligkeitsvirus befallen. Symptome sind zum einen sich epidemisch verbreitende Appelle an die eigene Geschlossenheit, verbunden mit der Aufforderung, das Reden übereinander zu unterlassen, womit es jedesmal aufs neue vollbracht ist; zum anderen ist es der vielstimmige Chor, der Führung und ein disziplinierendes Machtwort der abwesend wirkenden Kanzlerin verlangt, aber damit erst recht ihre scheinbare Schwäche in diesen Disziplinen hervorhebt.

Womöglich unterschätzen sie Merkel ein weiteres Mal, verkennen, dass Schwarz-Gelb für sie, die promovierte Physikerin, nicht Selbstverständlichkeit ist, sondern ein Experiment. Für sie sind Experimente die Grundlage einer Theorie, nicht umgekehrt. In der experimentellen Forschung wird stets eine Variable ausgetauscht, um die Veränderung, die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung beobachten zu können. Der Austausch ist erfolgt; jetzt beobachtet Merkel die Veränderung – auf ihre Partei, auf die Stimmung im Land, auf ihr Machtgefüge. Sie weiß, dass dazu auch die Kontrolle der Störfaktoren gehört.

Eine der grundlegenden Erkenntnisse der modernen Wissenschaftstheorie besagt, dass der Beobachter Bestandteil des Experiments ist. Die Variablen werden das bald zu spüren bekommen: am Donnerstag, wenn Merkel dem CDU-Vorstand ihre Strategie zur Eroberung sozialdemokratischer Wähler vorsetzt, und am Sonntag, wenn sie die Mitregenten Westerwelle und Horst Seehofer im Kanzleramt sediert. Eine Idee aber, gar ein Projekt ist nicht zu erkennen – geschweige denn ein Politikentwurf, für den sich irgendjemand begeistern könnte.

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