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© dpa

Michelle Obama: Aufstieg mit Hindernissen

Michelle Obama ist mehr als die lächelnde First Lady an der Seite ihres Mannes Barack. Einen Platz am Kabinettstisch fordert sie zwar nicht, gleichwohl ist sie sehr politisch. Und sie hat das Bild der schwarzen Frau in den USA revolutioniert.

Für diese Frau öffnen sich viele Türen. Am Donnerstag hieß sie die Staats- und Regierungschefs der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt im Botanischen Garten von Pittsburgh zum G-20- Gipfel willkommen. Anschließend lud Michelle Obama deren Partnerinnen in das Anwesen von Teresa Heinz ein, der Erbin des Heinz-Ketchup-Imperiums und Ehefrau des demokratischen Präsidentschaftskandidaten von 2004, John Kerry. Zum Dinner bewirtete sie die Gäste mit Erzeugnissen einer Ökofarm. Am Freitag spielte Weltklassecellist Yo-Yo Ma auf Bitte der First Lady in der Kunstakademie.

Am kommenden Sonnabend wird sie ihren Einfluss mit dem des japanischen Kaiserhauses und des spanischen Königs Juan Carlos messen. Dann geht es um die Vergabe der Olympischen Spiele 2016. Michelle Obama möchte sie in ihre Heimatstadt Chicago holen.

Die glamourösen Seiten der ersten schwarzen First Lady der USA werden den Deutschen seit dem Amtsantritt der Obamas am 20. Januar regelmäßig via Illustrierte und Fernsehen nahegebracht: Michelle im strahlenden Ballkleid mit nur einem Schulterträger aus dem New Yorker Studio des taiwanesischen Designers Jason Wu, Michelle in der Nacht der Inaugurationsfeiern. Michelle zu Besuch bei Queen Elizabeth II. im Buckingham-Palast. In jüngerer Zeit spekulierten bunte Blätter anhand von Fotos mit leicht gewölbtem Bauch, ob sie schwanger sei. Auch jede Veränderung der Frisur sendet eine neue Bilderwelle über den Atlantik nach Europa.

Doch das sind Oberflächlichkeiten. Michelle Obama ist keine Modepuppe und auch nicht nur ein Anhängsel des Medienstars Barack Obama. Sie selbst ist eine beeindruckende Persönlichkeit und liefert Amerika ein facettenreiches neues Rollenmodell im Weißen Haus. Sie revolutioniert das Bild der schwarzen Frau in den USA. Sie prägt das Amt der First Lady neu und hebt sich dabei sowohl von der traditionellen Präsidentengattin ab, die von den drei K’s – Kinder, Küche (speziell Backrezepte), Karitatives – geprägt war, als auch von der Vorvorgängerin Hillary Clinton.

Hillary galt als erste „moderne“ Hausherrin an Amerikas vornehmster Adresse, verschreckte aber große Teile der Nation durch einen allzu emanzipatorischen Ansatz und ihre politischen Ambitionen. Michelle fordert weder einen Platz am Kabinettstisch noch möchte sie die Verantwortung für ein Großprojekt der Regierung übernehmen, wie Hillary 1993, deren Gesundheitsreform jedoch scheiterte.

Imminent politisch ist Michelle Obama gleichwohl. Sie macht gerade ihre zweite große Karriere. Schon die erste war beeindruckend: Sie stammt aus einem einfachen Arbeiterhaushalt in Chicago, studierte an den besten Universitäten des Landes und stieg ins Führungsmanagement der Universitätsklinik Chicago auf. Dort verdiente sie ein sechsstelliges Jahresgehalt, brachte zwei Kinder zur Welt und unterstützte nebenbei den politischen Aufstieg ihres Mannes.

Ihre zweite Karriere stellt diesen Erfolg noch in den Schatten. In den ersten acht Monaten im Weißen Haus hat sie sich ihren Platz in den Herzen der Amerikaner erobert, trotz der Anfeindungen im Wahlkampf und mancher Rassenvorbehalte. Der Popularitätssprung ist atemberaubend: Im Sommer 2008 lagen ihre Zustimmungsraten bei 40 Prozent. In manchen Erhebungen gab es mehr negative als positive Bewertungen. Kommentatoren meinten damals, Michelle sei eine Belastung für Baracks Kandidatur. Nun ist sie plötzlich der Liebling der Nation und mit über 70 Prozent Zustimmung populärer als ihr Mann. Seine Werte sinken angesichts der Wirtschaftskrise und umstrittener Reformziele. Sie ist auch beliebter als ihre weißen Vorgängerinnen.

Wie macht sie das? Es ist nicht ganz einfach, das Geheimnis ihres Erfolgs zu lüften. Michelle zeigt widersprüchliche Seiten. Sie macht es den Beobachtern nicht leicht, ein faires Urteil zu gewinnen. Im Gegensatz zum Versprechen einer transparenten Amtsführung der Obamas lässt sie die Medien selten näher an sich heran. Die Verletzungen im Wahlkampf haben sie vorsichtig gemacht.

Man darf sich da von den Bildern nicht täuschen lassen. Die vielen Fotos und Fernsehfilmchen von ihren öffentlichen Auftritten erwecken den Eindruck, sie sei zugänglich. In Wahrheit müssen selbst Journalisten, die im Weißen Haus akkreditiert sind, eine freundliche Hartnäckigkeit an den Tag legen und das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen, ehe sie wenigstens begrenzten Zugang erhalten. Offiziell sind fast alle Auftritte der First Lady „pooled press only“. Das heißt: Nur eine Fernsehkamera und ein schreibender Journalist dürfen sie begleiten. Die übrigen Medien sind ausgeschlossen und müssen sich aus diesem Pool-Bericht bedienen.

Wer Gelegenheit hat, sie bei verschiedenen Anlässen aus der Nähe zu beobachten, dem öffnet sich ein neuer Blick. Erfolgreich hat sie das Zerrbild einer First Lady, die allzu revolutionär sei, vertrieben. Eine historische Premiere ist sie sowieso, schon wegen ihrer Hautfarbe. Daran kann sie nichts ändern. So zeigt sie bevorzugt Seiten, die den skeptischen Bürgern in Amerikas Kleinstädten und auf dem Land beruhigend traditionell vorkommen. Sie bilden die Mehrheit der Wähler. Michelle tritt ihnen via Fernsehen und Regionalzeitung als Mutter gegenüber, als personifizierter Zusammenhalt ihrer Familie, als Gärtnerin, Hundehalterin und oberste Schutzpatronin der Soldaten. Sie zeigt, wenn man so will, konservative Werte – als Kontrapunkt zu der progressiven Wahrnehmung als erste schwarze First Lady.

Ein wichtiger Faktor für ihre neue Beliebtheit ist natürlich: Amerikaner wollen stolz auf ihre First Lady sein, ganz egal, was sie früher von der Person politisch und menschlich hielten. Zum republikanischen Gründungsmythos der USA gehört zwar die Abkehr von den Monarchien in Europa. Zugleich möchte sich viele Bürger aber im Glanz eines Ersatz-Königshauses sonnen.

Michelle bedient verschiedene tief wurzelnde Identifikationswünsche – und korrigiert damit zugleich verbreitete Vorurteile über Afroamerikaner, ohne das ausdrücklich sagen zu müssen. Viele Weiße verallgemeinern, zum Beispiel, Statistiken, nach denen die Zahl unehelicher Geburten und Scheidungen unter Afroamerikanern über dem Durchschnitt liegt, auf alle Schwarzen. Michelle, Barack und ihre zwei Töchter Malia (11) und Sasha (8) stehen für die heile schwarze Familie und sind der lebende Beweis für Aufstieg durch Bildung, Ehrgeiz und Disziplin.

Die Aufgaben der First Lady nimmt sie ernst. Doch noch davor rangiert die Verantwortung als Mutter, predigt sie immer wieder. Das gefällt auch Republikanern. Für die Töchter gilt: Erst die Hausaufgaben, dann die Annehmlichkeiten im Weißen Haus, vom Schwimmbad bis zum privaten Kino. Malia und Sasha müssen ihre Betten selbst machen und den Wecker rechtzeitig für die Schule stellen.

Von da ist es für Michelle Obama nur ein kleiner Schritt zur vorbildlichen Mutter der Nation. Häufig geht sie in Schulen. Lasst euch nicht einreden, es fehle euch an Begabung, um eure Träume zu erfüllen, sagt sie dann. In Amerika kann jeder alles werden. Schaut mich an: Mir hat niemand vorhergesagt, dass ich einmal im Weißen Haus wohnen werde, und doch ist es so gekommen. Im Wahlkampf hatten viele an ihrem Patriotismus gezweifelt, weil sie manches an den USA kritisierte: zum Beispiel, dass 47 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben. Und dass die Bildungschancen nicht fair verteilt sind. Nun tritt sie als Fürsprecherin der Soldatenfrauen auf, deren Männer verletzt aus dem Irak oder Afghanistan heimkehren. Michelle steht häufig vor der Flagge, singt die Nationalhymne, die Hand auf dem Herzen. Wer wollte ihr jetzt noch die Vaterlandsliebe absprechen?

Die Bilder von ihr mit dem Spaten in der Hand im neu angelegten Küchengarten des Weißen Hauses sind beides zugleich: traditionell und modern. Arbeit auf der eigenen Scholle, aber ökologisch korrekt. Und natürlich bekamen die Obamas einen Hund. Ohne Haustier ist die amerikanische Bilderbuchfamilie unvollständig. Im Herbst wird sie eine Kampagne für das Ehrenamt und den freiwilligen Dienst an der Gesellschaft starten.

Ist das die echte Michelle oder ein Propagandabild? Von allem ein bisschen. Michelles Hang zu traditionellen Werten lässt sich in Kindheit und Studium zurückverfolgen. Der Vater, ein Arbeiter in den städtischen Wasserwerken, war Alleinverdiener. Die Mutter blieb daheim, solange Michelle und ihr älterer Bruder Craig klein waren. Und als so ein gemütliches Familiennest für ihre Kinder hatte sich die heutige First Lady dann auch lange ihr eigenes Zuhause vorgestellt. Freilich mit einer Ausnahme: Nur Mutter sein – das lag ihr nicht. Sie ist eine ehrgeizige Frau, und sie hat dann auch eine steile Karriere hingelegt.

Das zweite Hindernis für ihre Idealvorstellung vom Familienleben waren die politischen Ambitionen ihres Mannes. In der Theorie hatten beide eine moderne Partnerschaft angestrebt, in der die Lasten geteilt werden, auch die Kinderbetreuung. In der Praxis blieb die Herausforderung, Kinder und Karriere zu vereinbaren, vor allem an Michelle hängen. Vor allem deshalb war die Ehe mit Barack zeitweise nicht frei von Schmerzen und Enttäuschungen.

„Die berufstätigen Frauen meiner Generation wachen langsam auf und begreifen, dass wir vielleicht doch nicht alles haben können, jedenfalls nicht alles auf einmal“, hat sie im Rückblick über diese Jahre gesagt. Es ist ein typischer Michelle-Satz, geboren aus mühsamen Erfahrungen. Und zugleich eine Geschichte mit vorläufigem „happy ending“: Seit die Obamas im Weißen Haus leben, sind sie öfter zusammen und essen regelmäßiger gemeinsam als in den Jahren zuvor seit der Geburt der Kinder. Als Barack 2004 zum Senator gewählt wurde, zog die Familie erst gar nicht mit nach Washington. Michelle wollte die Töchter nicht aus der gewohnten Umgebung in Chicago reißen. Und sie selbst wollte ihr „support network“ nicht verlieren: die Hilfe durch Großmutter, Verwandte und Nachbarn bei der Kinderbetreuung, die ihr überhaupt erst die eigene Berufstätigkeit ohne schlechtes Gewissen ermöglicht hatte. Während des Wahlkampfs 2007/08 war Barack nach ihren Worten in zwölf Monaten nur an zehn Abenden zu Hause in Chicago.

Gerade ihre Zweifel und Kämpfe machen Michelles Biografie weit über Amerikas Grenzen hinaus interessant. Aus ihren Erfahrungen als Mutter und Verantwortliche für Freiwilligenprogramme sowie die Kooperation zwischen der modernen Universitätsklinik Chicago und den etwas zurückgebliebenen, ärmeren Wohnvierteln der Umgebung hat sie die entscheidenden Themen für ihre Rolle als First Lady entwickelt: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerade für Frauen; das Werben für eine neue Ära des ehrenamtlichen Dienstes an der Gemeinschaft. Neuerdings überwindet sie auch schon mal ihre Scheu vor der Einmischung in die Tagespolitik. Vor zehn Tagen warb sie in einem energischen Auftritt für die Krankenversicherungsreform.

In einem Punkt freilich bleibt sie vorsichtig. Sie begrenzt die öffentlichen Auftritte, die für Afroamerikaner hohen Symbolwert haben. Sie will nicht nur als erste schwarze First Lady wahrgenommen werden. Sie möchte die Repräsentantin aller Amerikaner sein, unabhängig von der Hautfarbe.

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