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Vater des Mindestlohns: Franz Müntefering.

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Mindestlohn: CDU auf den Spuren von Franz Müntefering

Die CDU spricht sich für eine Lohnuntergrenze aus. Sie ist nun dort angekommen, wo Müntefering vor sechs Jahren begann.

Von Antje Sirleschtov

Wenn es stimmt, dass Politik das Bohren ganz dicker Bretter ist, dann ist dies der Augenblick, um über Franz Müntefering zu sprechen. Kein anderer Politiker hat so deutlich auf die Urgefahr eines entfesselten globalen Kapitalismus für die Demokratie hingewiesen. Dass der Preis der Arbeit ins Bodenlose fällt, wenn das Angebot keine Grenzen mehr kennt. Wenn der Mensch von seiner Hände Arbeit sich selbst und seine Familie nicht mehr ernähren kann, hat Müntefering gesagt, „dann hat das nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun“. Und es untergräbt wie kein anderes Thema den Glauben an die Wirkkraft von Politik. Man schrieb das Jahr 2006, als der sozialdemokratische Arbeitsminister der großen Koalition, Müntefering, damit begann, seiner CDU-Kanzlerin Lohnuntergrenzen Branche für Branche aus dem Kreuz zu leiern.

Fast sechs Jahre später ist nun auch Angela Merkels Partei dort angekommen, wo Müntefering einst den Bohrer angesetzt hat. Überall in Deutschland sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt, einen Mindestlohn aushandeln, den die Politik danach für allgemein verbindlich erklärt. Ob Gastronomen oder Friseure: Wenn tatsächlich ins Gesetzblatt schaffen sollte, was die CDU in zwei Wochen beschließen will, dann könnte in diesem Land niemand mehr für drei Euro Stundenlohn arbeiten müssen. Das wäre ein Beweis für das Primat von Politik. Danke, Franz!

Christdemokrat zu sein kann hingegen wahrlich nicht leicht sein. Erst galt Atomkraft als sicher, sauber und preiswert. Dann, nach Fukushima, war das alles nichts mehr wert. Genauso wie die allgemeine Wehrpflicht und das dreigliedrige Schulsystem. Und nun heißt es für die Partei von Friedrich Merz und Roland Koch, sich flugs auch noch zum Mindestlohn zu bekennen. Wo bleiben da die christdemokratischen Werte, wo verlässliche Parteitradition, und wer soll bei all dem überhaupt noch mitkommen?

Merkels CDU muss sich programmatisch von den Gewissheiten der Neunziger verabschieden. Eine Volkspartei wie die CDU, die sich als Erfinderin und Gralshüterin der sozialen Marktwirtschaft versteht, wird in Zeiten der Globalisierung nur überleben, wenn sie beweisen kann, dass diese „alte“ soziale Marktwirtschaft den Menschen noch heute befriedigende Antworten auf die Probleme gibt. Das ordnungspolitische, ja ideologische Sozialprinzip vom Preis der Arbeit, der sich im Wettbewerb schon finden wird, ist jedenfalls in Zeiten grenzüberschreitender Arbeitnehmerwanderung und anschwellenden Niedriglohnsektors keine Antwort. Weg damit also?

Ganz so einfach wird es nicht. Hier ein bisschen Mindestlohn, dort ein wenig Finanzmarktsteuer: Merkels nachholende Modernisierung mag dem Zeitgeist entsprechen, der SPD Wahlkampfthemen für 2013 zerstören und damit clever eingefädelt sein. Den Verdacht des Populismus muss sie noch zerstreuen. In der CDU und auch in der Wählerschaft. Dicke Bretter eben, und, wie sagte Müntefering: „Ich werde keine Ruhe geben.“

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