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Meinung: Mit Gewalt im Gespräch

Der Frieden auf den Philippinen trügt. Der Konflikt zwischen Christen und Moslems bleibt. /Von Moritz Kleine-Brockhoff

Von der südphilippinischen Insel Jolo, auf der die Abu-Sayyaf-Gruppe vor zwei Jahren die Familie Wallert aus Göttingen gefangen hielt, kommen ständig kurze, hässliche Nachrichten: Zivilisten, Abu-Sayyaf und Soldaten sterben regelmäßig, weil die philippinische Armee und die „Terror-Rebellen-Banditen-Gruppe“ sich beschießen. Manchmal gibt es zwei Tote, manchmal vier, oft „nur“ Verletzte. Im Westen wird kaum darüber berichtet, weil es auf Jolo schon ewig so zugeht und weil die Abu-Sayyaf im Moment keine Geiseln hält. Der Nachbarinsel Basilan wird es ähnlich ergehen.

In den vergangenen Monaten stand sie im Rampenlicht, weil amerikanische Soldaten halfen, die Abu-Sayyaf zu bekämpfen. Jetzt sind die Amerikaner abgezogen. Wenn nicht sehr viele Menschen auf einmal gewaltsam sterben, wird man nichts hören, bis die US-Truppen Ende des Jahres wiederkommen.

Viele Konflikte, die weit weg sind, interessieren nur, wenn sie extrem blutig werden oder wenn es einen Bezug zur Heimat gibt. Erst mit der Wallert-Entführung erfuhren in Deutschland auch diejenigen vom Kampf der Moslems auf den Inseln Mindanao, Basilan und Jolo, die den Außenpolitikteil der Zeitung nur überfliegen. Erst dieses Verschleppen von Touristen aus Europa, also ein Verbrechen der Banditen-Fraktion der Abu Sayyaf, machte viele Menschen im Westen auf den Konflikt im Süden der Philippinen aufmerksam.

Moslems und Christen kämpfen gegeneinander. Seit Jahrhunderten sterben Menschen in dem Krieg, der mal mehr, mal weniger intensiv ausgetragen wird. Allein in den vergangenen dreißig Jahren soll es mehr als 100 000 Tote gegeben haben.

Viele Friedensverträge und Waffenstillstände haben vorübergehend geholfen – die Probleme gelöst haben sie nicht. Geht es um Religion? Um Politik? Um soziale Ungerechtigkeit? Kein Etikett passt wirklich, alle Bereiche sind betroffen.

„Es geht darum, dass uns das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt wird“, sagen die Moslems. Schließlich waren sie zuerst da. Aber seit Kolonialherren aus dem fernen Europa kamen, regieren hier die Christen.

Im siebten Jahrhundert erreichten die ersten muslimischen Händler aus Indien, Persien und dem Süden Arabiens die Häfen Südostasiens. Fast 800 Jahre lang schlossen sich immer mehr Menschen in der Region dem Islam an, vor allem in Malaysia und in Indonesien, das heute weltweit das Land mit der größten moslemischen Bevölkerung ist. Im Süden der Philippinen stand auf der kleinen Insel Tawi-Tawi, nicht weit von Jolo, im 14. Jahrhundert die erste Moschee. Die Menschen lebten in unabhängigen Sultanaten.

1500 kamen die ersten Europäer nach Südostasien, sie suchten Gewürze und brachten das Christentum. Auf den indonesischen Molukken waren sie besonders erfolgreich, fanden Nelken und schafften es vor allem im Süden der Inselgruppe, fast alle Menschen zu missionieren. Nach und nach wurden bis auf Thailand alle südostasiatischen Länder europäische Kolonien. Auf den Philippinen hatten die Spanier im Norden, wo keine Moslems lebten, keine Mühe, eine Verwaltung aufzubauen und die Menschen zu „bekehren“. Im Süden wehrten sich die Moslems. Ihr langer, erfolgloser Kampf begann: gegen Spanier, gegen US-Amerikaner, die die Europäer abgellöst haben, gegen Japaner, die im Zweiten Weltkrieg einmarschiert sind und bis heute gegen philippinische Soldaten aus dem katholischen Norden. Als die Philippinen unabhängig wurden, fragte niemand die Moslems im Süden, ob sie dabei sein wollten. Die Grenzen aus der Kolonialzeit wurden übernommen, der Norden hätte ohne die „Kornkammer Mindanao“ nicht überleben können. Aus Mindanao, der größten Insel des Südens, kommen rund 70 Prozent aller landwirtschaftlichen Produkte der Philippinen. Daran verdienen hauptsächlich die Nachfahren spanischer Großgrundbesitzer, also wenige katholische Familienclans. Sie sind reich, fast alle Moslems arm.

Armut, geringe Bildungschancen, seltener Zugang zu Verwaltungsposten und zu politischen Ämtern, Unzufriedenheit mit dem politischen Status Quo und stetige Migration von Christen in den Süden – die philippinischen Moslems hatten viele Gründe, zu den Waffen zu greifen.

Nachdem die Zentralregierung erst Siedler schickte, die sie begünstigte, brach auch ein paar hundert Kilometer weiter südlich der Krieg aus. Auf den indonesischen Molukken krachte es 1999. Jakarta hatte, nachdem es von Holland unabhängig geworden war, jahrzehntelang Moslems auf die „Gewürzinseln“ geschickt und ihnen Land und Ämter gegeben. Eine Lappalie löste einen Konflikt zwischen Christen und Moslems aus, bei dem 6000 Menschen starben.

Auf den Molukken ist es seit Beginn des Jahres überwiegend friedlich, aber hunderttausende Flüchtlinge trauen sich nicht, zurückzukehren. Auf den Südphilippinen wird nur noch gegen die kleine Abu–Sayyaf gekämpft. Die größte Rebellengruppe, die „Moro National Liberation Front“ (MNLF), hat gegen begrenzte Autonomie Frieden geschlossen. Mit der anderen großen Gruppe, der „Moro Islamic Liberation Front“ (MILF), hat die Regierung in Manila einen Waffenstillstand vereinbart, aber Verhandlungen über einen Friedensvertrag brachen im März zusammen. Präsidentin Gloria Arroyo will Ruhe im Süden, sie spricht von „unseren muslimischen Brüdern und Schwestern“ und tut viel für Mindanaos Entwicklung. „Ihre Politik ist ein Riesenfortschritt“, sagt Eid Kabalu, der Sprecher der MILF, „aber es gibt aus Manila immer noch keinen Vorschlag für eine politische Lösung. Darauf warten wir seit Jahrzehnten.“

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