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Meinung: Mit Gewalt isoliert

Die Islamisten haben den Zenit überschritten – weil ihr Weg der Terror ist

Von Clemens Wergin

Wie kriegerisch ist der Islam? Die westliche Welt schaut seit dem Angriff muslimischer Terroristen auf die USA schärfer hin. Ins Auge springen die vielen Konflikte, in die Muslime verwickelt sind, von Algerien über Palästina, den Sudan, Tschetschenien und Kaschmir bis zu den Philippinen. Ist der Islam also eine aggressive Religion mit einem unbändigen Macht- und Zerstörungswillen?

Die achtteilige Serie (auf dieser Seite) über regionale Krisenherde mit muslimischer Beteiligung hat mindestens so viele Unterschiede wie Gemeinsamkeiten aufgezeigt. Die ehemals christlichen Tschetschenen konvertierten im 16. Jahrhundert zum Islam, weil sie sich gegen die russische Herrschaft wehren wollten, ihr Stammesrecht aber den Kampf gegen Glaubensbrüder verbot. Im Sudan ist der Gegensatz zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden auch einer zwischen Arabern und Schwarzafrikanern. Der Palästinakonflikt wurde erst in jüngeren Jahren zum Existenzkampf zwischen Judentum und Islam umgedeutet.

Nur der Kaschmirkonflikt hat genuin religiöse Wurzeln. Er entstand, nachdem der indische Subkontinent geteilt wurde in einen muslimischen Teil (Pakistan) und einen mehrheitlich hinduistischen (Indien). Doch selbst für die Kaschmiris stand lange der Kampf um Autonomie im Vordergrund. Erst die Erfolge der Mudschahedin in Afghanistan haben zu einer Re-Islamisierung geführt.

Als die muslimische Welt sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus der kolonialen Umklammerung des Westens befreite, war vom Islam kaum die Rede. Die Befreiungsbewegungen orientierten sich an der westlichen Vorstellung von der souveränen Nation, oft inspiriert von sozialistischen Idealen. „Panarabismus“ war das Schlagwort im Vorderen Orient, der Zusammenschluss der ethnischen Araber. Die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, spielte als politische Größe keine Rolle. Das änderte sich, weil es den Nationalisten weder gelang, die wirtschaftlichen Probleme ihrer Länder zu lösen, noch den Palästinakonflikt zu gewinnen. Der 1967 gegen Israel verlorene Sechstagekrieg führte die eigene Schwäche vor Augen.

In den meisten arabischen Ländern waren die nationalen Befreiungsbewegungen da längst zu autoritären Regimen geworden, die Kritik im Keim erstickten. Je mehr linke Oppositionelle im Gefängnis landeten, desto wichtiger wurden die Islamisten. Sie engagierten sich in der vom Staat vernachlässigten Wohlfahrtspflege und entwickelten einen politischen Islam. Der verband die Idee von sozialer Gerechtigkeit innerhalb der Umma mit reaktionären Zielen wie der Rückkehr zu einem als ideal gedachten Frühislam: als die geistlichen auch die politischen Führer waren.

Die Revolution im Iran 1979 wurde zum Durchbruch für die Islamisten. Die Vision von Selbstbestimmung und Loslösung vom Westen schien Wirklichkeit zu werden. Die alten Regime in der muslimischen Welt gerieten endgültig in die Defensive. Zwischen Iran und Saudi Arabien entwickelte sich ein fundamentalistischer Wettlauf. Der Islamismus etablierte sich als ideologisches Politikkonzept neben Sozialismus und Nationalismus.

Ob Militärs im Sudan oder Saddam Hussein im Golfkrieg: Der Islam ließ sich von korrupten Herrschern zur Erneuerung der eigenen Legitimation missbrauchen. Und immer mehr Befreiungsbewegungen begannen, ihren Kampf als Dschihad zu definieren. Afghanistan-Veteranen exportierten Waffen und Ideologie überallhin, wo Muslime kämpften: nach Bosnien genauso wie nach Kaschmir, Tschetschenien und auf die Philippinen. Und der Iran tat alles, um im Libanon und Palästina terroristische Organisationen zu stärken.

Doch der Eindruck, dass „der“ Islam dies alles zusammenhält, trügt. Die wirtschaftliche und politische Misere des Iran und die Terror-Anschläge in Ägypten Mitte der 90er haben die Extremisten einem Großteil der Bevölkerung entfremdet. Die rücksichtslose Brutalität der Anschläge vom 11. September ist ein Indiz dafür, dass die Fanatiker nicht mehr daran glauben, die Zustimmung einer Mehrheit der Muslime gewinnen zu können.

Was für Algerien gilt, gilt für die ganze muslimische Welt: Das Gewaltpotenzial der Extremisten ist weiterhin groß, eine Lösung der politischen und sozialen Probleme traut ihnen aber kaum noch jemand zu. Für Konflikte mit Nichtmuslimen steht die Tradition des Dschihad jedoch weiter zur Verfügung. Irgendein Imam findet sich immer, der die Ausrufung des Dschihad auch religiös begründet. Denn dort, wo Muslime unter Lebensgefahr für Unabhängigkeit, politische Selbstbestimmung oder Teilhabe an der Macht kämpfen, hat der Islamismus mehr anzubieten als konkurrierende Ideologien: das Paradies für die im Dschihad Gefallenen.

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