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Meinung: Moderieren – nicht diktieren

Von Jost Müller-Neuhof Man kann auch leise Herrscher werden. Während in Berlin die Politiker von Tag zu Tag heftiger in die Wahlkampfhörner stoßen, stellt sich andernorts diskret ein Neuer an die Spitze der faktisch größten Macht im Staate.

Von Jost Müller-Neuhof

Man kann auch leise Herrscher werden. Während in Berlin die Politiker von Tag zu Tag heftiger in die Wahlkampfhörner stoßen, stellt sich andernorts diskret ein Neuer an die Spitze der faktisch größten Macht im Staate. Seine Wahl war weniger demokratisch als traditionell, sein Amt hat er bereits angetreten und seine Pläne kennen wir nicht: Hans-Jürgen Papier löst Jutta Limbach nach acht Jahren als Präsident des Bundesverfassungsgerichts ab. Ein kleiner Festakt in Karlsruhe, mehr nicht. Die Legislaturperiode des einzigen Gerichts, dessen Urteile Gesetzeskraft haben, beginnt.

Wird alles anders? Die Gegensätze liegen auf der Hand. Hier die rote Politikerin mit einem Gespür für Menschen und Wärme im Ton, dort der etwas einsilbige, schwarze Juraprofessor, dem es Sorgen bereitet, dass Homosexuelle plötzlich mit dem Heiraten angefangen haben. Aber die Folgen des Wechsels werden überschätzt. Das Präsidentenamt verstärkt nicht die Stimme im Richtersenat. Und so wie die Reformerin Limbach zuvor den konservativen Papier zum Stellvertreter hatte, hat Papier jetzt den Reformer Winfried Hassemer neben sich. Dennoch: Jutta Limbach hat der Karlsruher Instanz eine neue Richtung gewiesen – und Papier sollte sehen, dass er ihr folgt.

Die gelernte Rechtssoziologin Limbach wusste immer, dass die Bedeutung ihres Gerichts weit über seine Urteile hinausreicht. Karlsruhe ist heute kein Ort der Entscheidung mehr. Es ist ein Ort der Verständigung geworden. Hier vergewissert sich ein Volk seiner Grundfesten. Einer muss dort verlieren. Aber wichtig ist, dass die Menschen außerhalb des Saals den Richtspruch akzeptieren, dass sie es sind, die gewinnen. Und das tun sie offenbar.

Als das Gericht im letzten Jahr 50. Geburtstag feierte, strömten 20 000 Gratulanten herbei, und die Presse übertraf sich darin, dem Karlsruher Phänomen zu huldigen. Limbach hat daran persönlich Anteil. Sie hat dem früheren Orakel zu klarer Sprache verholfen, mit aktiver Pressearbeit, TV-Kameras im Saal und Tagen der Offenen Tür. Das Gericht ist in der Öffentlichkeit so präsent wie nie, und Jutta Limbach hat sich zudem immer gewehrt, wenn es falsch verstanden oder instrumentalisiert worden ist. So sprach sie viel – und schrieb wenig vor. Das war Jutta Limbachs zweiter Vorzug. Unter ihrer Präsidentschaft markierten die Richter vor allem in jüngerer Zeit, wofür sie nicht zuständig sind: bessere Politik zu machen als das Parlament. Ob bei der Entscheidung über das Nato-Strategiekonzept, der Besteuerung der Renten oder zuletzt bei der Wehrpflicht – stets überließen sie der Politik das Feld.

Das waren richtige und wichtige Reaktionen auf den wachsenden Druck von außen. Die Politiker kopieren die bei ihren Bürgern leider beliebte Prozesshanselei mehr als genug. Wer im Parlament unterliegt, klagt in Karlsruhe. Ganz so, als geschehe automatisch Unrecht, wenn jemand seinen Willen nicht durchsetzen kann. Doch die höchsten Richter haben Mittel und Wege gefunden, sich Streit vom Hals zu halten, den andere auszufechten haben. Das beeindruckendste Beispiel war, es Kirchen, Eltern und Politikern zu überlassen, wie der Religionsunterricht in Brandenburg auszusehen hat. Ein Vergleich in einer Verfassungsfrage – juristisch vielleicht eine Katastrophe, gesellschaftlich war es ein Glücksfall.

Hans-Jürgen Papier, der Bewahrer, sitzt einem modernisierten Gericht vor. Dass er, anders als Limbach, nicht aus der Politik kommt, ist eher sein Handicap als sein Vorteil. Die vergangenen Jahre zeigten: Die Aufgaben dieses Gerichts sind mit juristischer Brillanz allein nicht zu bewältigen.

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