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Eine Demonstration von Pro-Assad-Anhängern in Syrien.

© dpa

Möglicher Giftgas-Angriff in Syrien: Zweifel sind angebracht

Der Druck auf den US-Präsidenten ist groß. Nach dem möglichen Giftgas-Einsatz in Syrien soll Obama endlich handeln, fordern viele. Doch für den Einsatz von Sarin gibt es keinerlei Beweise. Zweifel sind also angebracht.

Jetzt also doch: In Syrien wurde das Giftgas Sarin eingesetzt, erklärte der US-Verteidigungsminister am 25. April. Schon am selben Nachmittag versuchte der US-Präsident, die Pferde wieder einzufangen. Die Beurteilung der Geheimdienste sei nur „bedingt zuverlässig“, ließ er eilig erklären. Bei den Proben angeblicher Opfer sei nicht klar, wo und wie sie mit dem Gift in Kontakt kamen. Auch ob es wirklich Sarin war, stehe nicht fest.

Am vergangenen Sonntag preschte die UN-Vertreterin Carla del Ponte dann mit der Behauptung vor, man habe den „konkreten Verdacht“, das Sarin sei nicht von Regierungstruppen, sondern von Rebellen eingesetzt worden. Wieder folgte das Dementi auf dem Fuße: Es gebe bisher keine Beweise, verkündete die zuständige UN-Kommission, dass irgendeine Kampfpartei irgendein Giftgas verwendet habe.

Fest steht, dass sich syrische Regierung und Rebellen seit Monaten gegenseitig beschuldigen, Giftgas zu verwenden. Im Internet zirkulieren Videoaufnahmen angeblicher Opfer und Aussagen angeblicher Zeugen. Der jüngste Vorfall soll eine Giftgasgranate gewesen sein, die am 13. April in einem Vorort von Aleppo einschlug. Der angesehene Kriegsreporter Anthony Loyd schilderte in der Londoner „Times“ die tragische Geschichte eines Mannes, der bei diesem Angriff seine Familie verlor. Für die von Loyd befragten Ärzte und Experten steht fest, dass die Granate mit Sarin gefüllt war.

Das Kampfgas, das 1938 in Deutschland entwickelt wurde, wird hauptsächlich über die Atemwege aufgenommen und blockiert das Enzym Acetyl-Cholinesterase, das die Signalübertragung in den Nervenenden reguliert. Wenige Sekunden nach der Aufnahme von Sarin kommt es zur Dauerkontraktion der Muskulatur mit extremer Verengung der Pupillen, gefolgt von Nasenlaufen, Speichelfluss, Schwitzen und Muskelzittern. Wer nicht sofort ein Gegengift erhält, stirbt nach zwei bis zehn Minuten durch Stillstand der Atemmuskulatur.

Von diesen typischen Symptomen ist auf den syrischen Videos jedoch nichts zu sehen. Insbesondere das Fehlen von Muskelzittern und verengten Pupillen spricht deutlich gegen eine Vergiftung mit Sarin. Kriegsreporter Loyd bestätigt in seinem Bericht, dass die Opfer des Angriffs vom 13. April weite Pupillen hatten.

Auch chemische Untersuchungen sind wenig aussagekräftig. Da Sarin schnell verdunstet und abgebaut wird, ist es in Bodenproben kaum detektierbar. Ein indirekter Nachweis durch stabilere Abbauprodukte ist in Speziallaboren möglich, aber technisch schwierig und bei kleinen Mengen unsicher. Zudem wäre es ein Leichtes, ausländische Labore zu täuschen, etwa mit Proben aus der Umgebung einer Giftgasfabrik.

Im Blut ist Sarin ebenfalls nur schwer nachweisbar, weil es bereits in geringster Konzentration wirkt und extrem fest an die Cholinesterasen gebunden ist. Im Militärbereich wird deshalb mit Schnelltests die Konzentration der Cholinesterasen im Blut bestimmt, die bei Sarinvergiftung stark erniedrigt ist. Allerdings haben einige Insektizide, Arzneimittel und andere Chemikalien denselben Effekt. Für einen definitiven Nachweis sind deshalb Spezialuntersuchungen nötig, bei denen das Sarin durch Zugabe von Fluorid freigesetzt und dann mittels Gaschromatographie und Massenspektrometrie identifiziert wird. Von den wenigen Laboren, die dazu in der Lage wären, hat bisher keines den Nachweis von Sarin öffentlich bestätigt.

Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.
Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

© promo

Natürlich verraten die US-Geheimdienste nicht, auf welche Daten sie ihre Sarin-Story stützen. Allerdings ist davon anzugehen, dass jede der syrischen Kriegsparteien Beweise für die Verwendung eines chemischen Kampfstoffes durch die Gegenseite sofort veröffentlichen würde, wenn es diese gäbe. Zweifel an den drastischen Behauptungen der Spione sind also angebracht. Immerhin hat der CIA im Februar 2003 schon einmal dafür gesorgt, dass die USA vor der Welt als Lügner dastanden: Die im UN-Sicherheitsrat präsentierten „Beweise“ für das Biowaffenprogramm des Irak waren vollständig erfunden.

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