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Mon Berlin: Der Gedenktafel-Fetischismus

Die Gedenktafeln in der Berlin sind ein Versuch die Vergangenheit an die Gegenwart zu heften. Doch zu viel wurde zerstört und diese Löcher sind auch durch Tafeln nicht zu schließen.

Hier wohnte in dem früheren zerstörten Hause von 1918 bis 1933 Albert Einstein, Physiker und Nobelpreisträger“, ist auf dem Granitblock zu lesen, der vor einem Neubau in der Schöneberger Haberlandstraße steht. Wie oft bin ich schon vorbeigegangen, ohne diese Huldigung zu bemerken. Bis der Zufall meine Blicke eines Tages endlich über dieses kleine und in seiner Nüchternheit anrührende Denkmal stolpern ließ. Kein Marmor für Albert Einstein. Nicht einmal Gusseisen oder Keramik, stattdessen gewöhnlicher Granit, dem Graupelschnee des Berliner Winters nichts anhaben kann.

Es ist wirklich nicht leicht, an diesem seelenlosen Ort den Hauch des Genies wahrzunehmen. Hier erinnert nichts mehr an das Berlin Albert Einsteins. Weder die Balkonverkleidungen aus Wellblech noch der Zaun um den kümmerlichen Garten, der das geschichtslose Gebäude einfasst. Auf diese Straßenecke fiel eine Bombe. Mit einem Schlag löschte sie die urbanen Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit aus.

Wenn man in Berlin lebt, gewöhnt man sich an die Hässlichkeit, an die Löcher, an die von gehetzten Städteplanern errichteten Straßenzüge. Man gewöhnt sich an all diese Risse im Gewebe der Stadt. Man weiß, dass die Gedenktafeln nur vergebliche Versuche sind, die Vergangenheit an die Gegenwart zu heften. Berlin ist eine zerrissene Stadt. Es fällt ihm schwer, sich an seine Geschichte zu erinnern.

Ganz anders Paris, diese unversehrte Schönheit. Man muss mit dem Taxi in Paris ankommen, die Quais der Seine entlangstreifen und zusehen, wie die Jahrhunderte rasend schnell vor den Fenstern vorbeiziehen, eine makellose Szenerie, die die Moderne fast nicht verschrammen konnte. Mühelos kann man sich das Leben der großen Männer vorstellen, das durch die Gedenksteine wachgerufen wird: Man sieht Proust, wie er das Haus verlässt, man erkennt Chateaubriand, der die Tür zum Gebäude am Boulevard Saint Michel aufstößt, wo er gelebt hat, und im Montmartre spürt man Toulouse-Lautrec an jeder Straßenecke. Abgesehen vom Verkehr, den Schaufenstern und dem natürlichen Verfall durch die Zeit hat die Umgebung sich kaum geändert. Die Zeit vergeht, doch Paris hat ein gutes Gedächtnis.

Welch merkwürdige Manie ist es doch, auf den Hauswänden die Namen berühmter Mieter festzuhalten, die hier gewohnt haben. Dieser Fetischismus ist umso absurder, als die berühmten Männer sich manchmal nur wenige Wochen in dem verehrungswürdigen Gemäuer aufgehalten haben. Billy Wilder lebte als Untermieter von 1927 bis 1928, ein knappes Jahr, am Viktoria-Luise-Platz 11, in einem winzigen Zimmer im dritten Stock. Das Haus wurde ausradiert. Zwischen dem Kosmetikstudio im Erdgeschoss und der Apotheke an der Ecke tut sich das neue Gebäude schwer, die Träume von Beverly Hills zu spiegeln. Vergangenheit und Gegenwart stoßen sich aneinander. Marilyn Monroe und Fußpflege. Shirley MacLaine und Werbung für Inkontinenzbehandlung im Schaufenster der Apotheke. Und ganz gewiss sind die Tüllgardinen in den Fenstern von heute weit entfernt vom Sunset Boulevard. Aber Billy Wilder hat unter diesem Dach geschlafen, gegessen und, so steht zu hoffen, einige Drehbücher geschrieben.

Warum ehrt uns die enge Berührung mit großen Männern so sehr? Warum schmeichelt uns, den Mietern von heute, die schemenhafte Anwesenheit unserer Vorgänger? Werden wir klüger, wenn wir unter demselben Dach leben wie einst ein Nobelpreisträger? Unser Haus wird durch diese frühere Nachbarschaft geadelt. Und schon klettert es in der Hierarchie der Häuser in unserer Straße nach oben, trotz der abblätternden Fassaden und der Reihe stinkender Mülleimer im Hinterhof. Wir dürfen auf unsere Adresse stolz sein. Die Füße eines berühmten Mannes haben genau diese Stufen berührt, die wir jeden Tag benutzen, seine Hand hat sich am Treppengeländer festgehalten. Und abends im Bett können wir uns Einstein vorstellen, wie er im Stockwerk über uns seine Zauberformeln erfindet.

Ja, darauf sind wir stolz! Wir fühlen eine geheime Verbindung mit ihm, eine Seelenverwandtschaft. Na, da schmückt man sich eben ein wenig mit fremden Federn. Einstein und wir, das ist, als wären wir Cousins.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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