zum Hauptinhalt

Mon BERLIN: Die süße, zähe Trägheit der Langeweile

Anfang der Woche gab mein Laptop ein merkwürdiges Geräusch von sich, eine Art Stöhnen, das letzte Röcheln eines Sterbenden, bevor die Seele ihn verlässt. Mit einem Schlag war der Bildschirm erstarrt, nichts mehr rührte sich, obwohl meine Finger hektisch auf den kleinen Tasten klimperten.

Anfang der Woche gab mein Laptop ein merkwürdiges Geräusch von sich, eine Art Stöhnen, das letzte Röcheln eines Sterbenden, bevor die Seele ihn verlässt. Mit einem Schlag war der Bildschirm erstarrt, nichts mehr rührte sich, obwohl meine Finger hektisch auf den kleinen Tasten klimperten. Nichts mehr… bis auf das lange eisige Schaudern, das mein Rückgrat Wirbel für Wirbel hochkroch. Nur keine Panik! Tief einatmen und auf gar keinen Fall die Tragweite der Katastrophe bedenken: das vom virtuellen All verschluckte Adressbuch.

Weg die Texte, die Ideen, die Fotos, die Erinnerungen, das ganze Leben womöglich. Keine Chance, durch die Suchmaschinen zu surfen oder Mails zu schreiben. Ganz plötzlich war ich von der solidarischen Truppe der Netbewohner abgeschnitten. Kein Zugang zu Informationsquellen. Ein Paria. Ein Nobody, gerade noch gut genug, Schäfchen und Minuten zu zählen, um die Zeit offline irgendwie herumzubringen.

Ein defekter Rechner ist einer gestohlenen Handtasche vergleichbar. Nach dem ersten Schock tauchen die verlorenen Dinge Stück für Stück im Bewusstsein auf und lassen die Umrisse des Dramas deutlich werden: das Buch, das ich noch nicht fertig gelesen habe, die Autopapiere, der Wohnungsschlüssel, natürlich auch die Adresse! Allmählich erkennt man auch den bürokratischen Ärger und all die vergeudete Energie, die die nächsten Wochen bestimmen werden.

Ich nahm mir vor, nicht mehr darüber nachzudenken. Und die kranke Maschine zu meinem Computerarzt in einen Hinterhof im tiefsten Kreuzberg zu bringen. Eine Koryphäe, sagte ich mir immer wieder, um mich zu beruhigen. Er würde alles in Ordnung bringen und zum Leben erwecken. Ganz bestimmt.

Während ich auf die Diagnose oder vielmehr das Urteil des Sachverständigen wartete, blieb die Frage, wie ich „die Zeit töten“ sollte, so heißt die wörtliche Übersetzung von „tuer le temps“. Aber die deutsche Sprache, stets konkreter und plastischer als die französische, bevorzugt den Ausdruck „die Zeit totschlagen“.

Die Zeit mit den Fäusten verprügeln, sie verdreschen, bis sie zusammenbricht und langsam krepiert, das ist wesentlich brutaler, als sie, eher vage, zu töten. Eine antiquierte Beschäftigung, die unserer so nervösen Zeit anscheinend völlig abhandengekommen ist. Nur in Wartesälen, im Stau, bei Zugverspätungen oder einem ausgefallenen Rechner fragt man sich, wie man die Zeit totschlagen soll, in jenen seltenen Situationen also, in denen man zur Untätigkeit gezwungen ist, bewegungslos, ohne sich wie gewohnt die Zeit vertreiben zu können. Und so ermorden wir die Minuten, die uns wie Stunden vorkommen.

Ich frage mich jedoch, ob wir die Zeit nicht schon lange umgebracht haben. Wir nehmen uns nicht mehr die Zeit, die wir brauchen, um alles in Ruhe zu erledigen. Wir sind immer in Eile, immer hektisch. Unsere Stunden zerkrümeln. Sie rasen wie im Minutentakt dahin. Wir sind völlig damit beschäftigt, der Zeit nachzurennen, wir versuchen, sie aufzuhalten, mit beiden Händen zu ergreifen, damit das Wenige, was davon übrig ist, uns nicht zwischen den Fingern zerrinnt. Wer kennt denn schon noch die zähe Trägheit der Langeweile?

Und so habe ich zwei entspannte und produktive Tage damit verbracht, ein Sachbuch zu lesen, das seit Wochen auf meinem Schreibtisch lag. Mein Arbeitszimmer ist aufgeräumt, die Siesta hat mir gutgetan, und der Espresso im Café war besonders köstlich. Die Zeit schien sich beliebig zu dehnen. Ich fühlte mich ein wenig wie eine von ihren Ketten befreite Sklavin. Und ich muss zugeben, dass ich fast etwas enttäuscht war, als ich meinen Laptop zurückbekam. Ein südamerikanischer Kurier mit einem langen braunen Zopf sprang die Treppen hoch, um mir das in Luftblasenpapier gewickelte Gerät so vorsichtig in die Arme zu legen wie ein Neugeborenes. Ganz unschuldig. Scheinbar.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

Zur Startseite