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Meinung: MON BERLIN Schöne, elegante Anführerin

Gesine Schwan konnte keinen vergleichbaren Coup landen. Die trockene Arithmetik der Kräfteverhältnisse hatte schon im Voraus entschieden, dass vermutlich keine Grande Dame der Sozialdemokratie im Schloss Bellevue logieren wird.

Gesine Schwan konnte keinen vergleichbaren Coup landen. Die trockene Arithmetik der Kräfteverhältnisse hatte schon im Voraus entschieden, dass vermutlich keine Grande Dame der Sozialdemokratie im Schloss Bellevue logieren wird. Und auch Angela Merkel muss vor Neid erblassen. Seit Jahren kämpft sie gegen die stramm organisierten Machos in ihrer Partei, die fest entschlossen sind, ihr den Weg zur Macht zu versperren. Ségolène Royal dagegen ist es in Frankreich gelungen, die Bürger von Jean-Pierre Raffarins Heimatregion Poitou-Charentes zu verführen (oder sollte ich besser sagen: zu erobern? Sexisten verraten sich durch ihre Wortwahl!). Die Regionalwahlen am Sonntag krönten Ségolène Royals politische Traumkarriere. „Eine Frau!“, trompetet die deutsche Presse verblüfft. Und mich fragen jetzt alle: „Sind die Franzosen emanzipierter als die Deutschen?“

Ségolène Royal – allein schon der Name klingt wie geschaffen für überirdische Missionen – ist eine Superwoman: Eine hoch begabte Schülerin und glänzende Studentin, die im Dunstkreis von François Mitterrand rasant Karriere machte. Drei Ministerien, vier Kinder. Jeder in Frankreich erinnert sich an das idyllische Foto: Ségolène als Wöchnerin im pastellfarbenen Négligé, in ihren Armen das vierte Kind. Auf ihrem Schoß Dossiers aus dem Umweltministerium. „Ich wollte zeigen, dass eine verantwortungsbewusste Frau Mutterschaft, Gefühlsleben und Beruf vereinen kann“, strahlte sie.

Ihr Lebensgefährte François Hollande, den sie an der Pariser Eliteschule Ena kennen lernte, ist der Chef der Sozialistischen Partei. Das ist ungefähr so, als würde Franz Müntefering mit Renate Schmidt zusammenleben, oder Angela Merkel mit Roland Koch. „Es ist pures Glück, dass wir die gleichen Leidenschaften teilen. Ségolène schuldet mir nichts“, sagt François Hollande. Ségolène Royal hat ihre Karriere nicht im Kielwasser eines Mannes gemacht. Und sie ist auch nicht wie Margaret Thatcher zum „einzigen Mann in der Regierung“ geworden. Sie kümmert sich um Frauenprobleme: die Pille danach, Erziehungsurlaub für Männer, Frauenarbeitslosigkeit etc. – all dieses Gedöns ist ihr ein persönliches Anliegen, und sie schämt sich nicht dafür.

.Sie ist schön. Elegant. Kein noch so sexistischer Schreiberling hat es je gewagt, den Schnitt ihrer Haare oder ihrer Hosen zu attackieren. Eine Kreatur wie aus einem Traum. Wenn die Franzosen emanzipierter sind als die Deutschen, dann ist Ségolène Royal das beste Beispiel dafür.

Aber was, wenn man ein bisschen an dem perfekt strahlenden Lack kratzt? Zusammen mit Griechenland führt Frankreich die Rangliste jener europäischen Länder an, in denen Frauen am schlechtesten im Parlament repräsentiert sind – und das trotz eines Gesetzes, das die Parteien dazu verpflichtet, die Hälfte ihrer Wahllisten mit weiblichen Kandidaten zu füllen. Und in den 20 Regionen, in denen die Linken letzten Sonntag gewonnen haben, konnte sich nur eine Frau durchsetzen. Raten Sie mal, welche: Ségolène Royal, die einsame Anführerin eines phantomhaften Bataillons virtueller Kandidatinnen. Also Kopf hoch, Deutschland.

Die Autorin schreibt für das französische Magazin „Le Point“. Foto: privat

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