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Mon BERLIN: Turmbau zu Babel am Scharmützelsee

Pascale Hugues über einen Nachmittag am See und eine Linguistik-Lektion. Thema: Der Arsch.

Man darf den pädagogischen Nutzen des Hitzefrei nicht unterschätzen. Eine unverhoffte Chance für die Kinder, mühelos Zeichnen, Anatomie, Grammatik und mehrsprachiges Übersetzen zu erlernen. Die Schule des Lebens auf einem Holzsteg an einem See in Brandenburg. 30 Grad im Schatten. 21 Grad im Wasser. Zu siebt arbeiten wir einen Nachmittag lang an der Erweiterung unserer enzyklopädischen Kultur: ein fern von seinem Heimatland gestrandeter Libanese mit seiner Angel. Seine Freundin Chantal, deren Lebensziel anscheinend darin besteht, um die Aufmerksamkeit des gleichgültigen Anglers zu betteln.

Kevin, schwarze Lederstiefel, die Bomberjacke über dem Bierbauch geöffnet. Denis, ein Rotschopf aus Fürstenwalde. Meine beiden Kinder und ich aus Berlin. Ganz schnell steuert das Gespräch auf wissenschaftliches Terrain zu, auf Fragen der Semantik. Gerade ist der Kleine mit angezogenen Beinen ins Wasser gesprungen. „Arschbombe!“, schreit er strahlend, als er wieder auftaucht. Nur der Libanese kann das Wort übersetzen: claque-cul. Chantal schmilzt vor Bewunderung. Die Kinder lernen fürs Leben.

Oberhalb des Höschens, zwei Zentimeter über Chantals rosa Nylon-Tanga, zeigen sich zwei dicht belaubte horizontale Zweige, symmetrisch zur Wirbelsäule. Sie bilden ein „V“ – wie Victory, wie zwei Flügel, wie zwei Arme, die sich dem Libanesen vergeblich entgegenstrecken – er ist in seine Fische mehr verliebt als in Chantal. „Wie würdest du Arschgeweih ins Französische übersetzen?“ Ich frage den Libanesen, der gerade einen klebrigen Wurm auf den Angelhaken steckt. Sein Vorschlag ist wenig überzeugend. „Die Engländer sagen tramp stamp.“ Zweifellos das einzige Wort, das Denis aus seiner beschwerlichen Schulzeit geblieben ist. Ich dagegen bevorzuge die österreichische Variante: Oaschg’weih, im Genitiv Oaschg’weihs. Bei der Gelegenheit frischen wir gleich einmal die Deklination ein wenig auf. Voll Enthusiasmus üben die Kinder mit. Die Sonne scheint.

Chantals Körper ist ein einziges Kunstwerk. Um den Bauchnabel ringelt sich eine winzige Schlange. An der Nase ein Ring und drei rot flammende Pickel. Die Wangen hinunter fließen zwei Bäche von Wimperntusche. Auf den Nägeln Sterne aus Strass. Ich wage nicht zu fragen, wie Chantal ihre Brustwarzen geschmückt hat. Oder ob sie Intimpiercing gut findet.

Der Sprachunterricht geht weiter. Denis gibt damit an, dass er die Füße – übrigens auch den A. – seit Wochen nicht in die Schule gesetzt hat. „Warum soll ich mir den Arsch aufreißen?“, fragt er. „Und dein Vater, sagt der nichts?“, erkundigt sich mein Kleiner, den Mund offen wie eine Forelle. „Ist mir doch s…egal!“, antwortet Denis mit engelsgleichem Lächeln. Ich bin ihm dankbar für die lexikalische Abwechslung. „Er sollte ihn in den Arsch treten“, fügt der Libanese hinzu. Er merkt nicht, dass ihm gerade eine Wortwiederholung unterläuft.

Kevin macht einen heftigen Köpper und spritzt den ganzen Anleger nass. „Ey, du Arschloch!“, schreien Chantal und Denis im Chor. „Attention! Trou de cul en vue!“, trumpft mein Sohn auf, begeistert, dass er seine kultivierte Zweisprachigkeit zur Schau stellen und endlich auch seinen Beitrag zu unserem Bildungswerk leisten kann. Leicht geht ihm der Reim von den Lippen. „Aufgepasst, Arsch voraus“, übersetzt der Libanese. Die Versammlung ist hingerissen. Kevin und Denis klatschen. Der Kleine wird von seinesgleichen anerkannt. Er wirft sich in die Brust.

Das hier ist jetzt kein Bootssteg mehr am Scharmützelsee. Es ist der Turmbau zu Babel mitten in Brandenburg. Arsch auf Esperanto: postajo. Auf Venezianisch: culo. Auf Rätoromanisch: chül. Auf Niederländisch: bips. Ein wahres Feuerwerk! Aber unbestritten ist es die deutsche Sprache, die die meisten Kombinationsmöglichkeiten rund um dieses anale Wort kennt. Der Libanese und ich trauen unseren Ohren nicht. So viel Fantasie. So viel Reichtum. Das Französische und das Arabische können der Sprache Goethes nicht das Wasser reichen.

Am selben Abend in einer Schöneberger Pizzeria. Anton vom Nebentisch rennt überall herum, rempelt die Gäste an. „Setz dich doch auf deine vier Buchstaben!“, stöhnt seine Mutter hilflos. Anton kreischt wie eine betrunkene Eule. „Guck mal! Das geht ihm doch am Arsch vorbei!“, kommentiert mein kleiner Linguist und verdrückt ein riesiges Stück Margarita. Die Nacht ist hereingebrochen. Und es ist Vollmond. Was sonst?

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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