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Mon BERLIN: Yvonne de Gaulle hatte kein Tattoo

Mein Spaziergang am heutigen Samstag stockt auf dem Trottoir vor Schloss Bellevue. Wie angewurzelt stehe ich vor der noblen neoklassischen Kulisse, die, so kann man es heute überall lesen, Würde, Ehre, Vorbild, Integrität, moralische Instanz und ein Häubchen Glamour obendrauf beherbergen müsste.

Mein Spaziergang am heutigen Samstag stockt auf dem Trottoir vor Schloss Bellevue. Wie angewurzelt stehe ich vor der noblen neoklassischen Kulisse, die, so kann man es heute überall lesen, Würde, Ehre, Vorbild, Integrität, moralische Instanz und ein Häubchen Glamour obendrauf beherbergen müsste. Was für ein erdrückender Haufen großer Worte! Welche Herkulesaufgabe an Tugenden!

Durch seine Haltung besudelt ein Präsident die Würde seines Amtes. Diese Debatte haben wir bei Sarkozys Antritt auch in Frankreich geführt. Als unser Bling-Bling-Präsident mit seiner RayBan und seinen Mont Blancs jonglierte, als er von Frau zu Mätresse hüpfte, als er seine Freunde aus Finanzwelt und Industrie einlud, seinen Sieg im Fouquet’s auf den Champs Elysées zu feiern (neben der Luxusbrasserie Fouquet’s sieht das Borchardt wie die Bahnhofsmission aus), als er einem etwas zu kritischen Bürger ein „Hau ab, du Arsch!“ an den Kopf warf.

Über Sarko lachte der ganze Planet, und die bestürzten Franzosen beweinten die verlorene Würde des Amtes. Sie schmolzen vor Nostalgie nach der Grandeur des Generals (De Gaulle). Sie sehnten sich nach der vornehmen Arroganz und der humanistischen Bildung von François Mitterrand, dem letzten Präsidenten, der Bücher liebte. Sarko liebt nur Fernsehen und populäre Chansons. Fast vermissten sie den Filou Chirac: Er bewahrte einen Hauch der alten französischen Bildungsbürgerklasse, selbst noch, als er fiktive und hoch dotierte Jobs im Pariser Rathaus an seine treuen Parteisoldaten verteilte. Ja, man schämte sich regelrecht fremd. Sarkozy machte Frankreich zur Lachnummer.

Wie die Deutschen heute klammerten die Franzosen sich an ein Denkmal aus früheren Zeiten. Ohne Kratzer. Makellos. Der Präsident der Republik und damit auch sein heutiger Abklatsch wurde mit der V. Republik 1958 aus der Taufe gehoben. Das deutsche Präsidentenamt wurde von den Vätern der Verfassung direkt nach dem Krieg geschaffen. „Das Amt“ ist ein kurzes, hartes, strenges Wort. Ein Wort so aufrecht wie die Tugend. Unberührbar. Die Deutschen nehmen es ihrem Bundespräsidenten übel, dass er sein Amt entheiligt hat. Deshalb die unerträglich moralische Ausrichtung der Diskussion. Beichte, Reue, Schuld, Bußakt, Umkehr, Bekenntnis, Vergebung – man könnte sich in einem Inquisitionsverfahren glauben.

Das Gute an Sarkozys Eskapaden: Frankreich war geschockt, aber zwei Monate lang bog es sich auch vor Lachen. Schon lange hatte man sich nicht mehr so amüsiert. Und das tat gut. Die deutsche Debatte lässt diese erfrischende Leichtigkeit leider vermissen. Das Land wimmelt vor Predigern, Zeigefingerzeigern und selbst ernannten Experten für Verfassungsrecht. Da gibt’s nichts zu lachen. Schade.

Im Übrigen haben unsere beiden Präsidenten ihren Fehler sehr wohl begriffen. Während meiner sich in einem Buch, das genau zu den Wahlen im Frühjahr erscheinen wird, bei seinen Landsleuten für seine unflätigen Ausrutscher und Fauxpas des Parvenüs entschuldigt, gibt Ihrer sich einer öffentlichen Selbstzerfleischung preis und fleht im Fernsehen bei den Stammtischen um Verzeihung. Einst waren die großen Männer Gentlemen, eingehüllt in eine Aura des Geheimnisvollen, außer Reichweite. Sie standen über dem kleinen menschlichen Getümmel. Eine republikanische Ausgabe der Königin Elizabeth. Sarko und Wulff dagegen beanspruchen für sich: Wir sind auch nur Menschen.

Stellen Sie sich einen geschiedenen Adenauer vor, wie er die Finanzierung seines Klinkerhäuschens erklärt, wie er seinen Ärger auf dem Anrufbeantworter eines Pressezaren loswird, wie er die Häufigkeit des Bettwäschewechsels im Gästezimmer seiner Freunde vorrechnet … Stellen Sie sich eine Tätowierung auf dem Oberarm von Yvonne de Gaulle vor. Möge die Unantastbare mir diese kleine Fantasie verzeihen! Diese Mischung aus Spießigkeit, Dreistigkeit und neureichen Gelüsten ist es, die das Amt für immer um seinen Nimbus gebracht hat.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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