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Meinung: Mut zum Neuen

Wie das Land in der Forschung wieder an die Spitze kommt

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass ein deutscher Forscher weltweites Aufsehen erregt. Im Frühjahr gelang dies dem Biologen Hans Schöler mit bahnbrechenden Stammzell-Experimenten. In zehn, 20 Jahren wird Schöler vielleicht einen Nobelpreis bekommen. Natürlich nur dann, wenn sich seine Arbeit tatsächlich als revolutionär erweist. Die Sache hat einen Haken: Schöler arbeitet seit vielen Jahren in den USA. So wie die anderen deutschen Wissenschaftler, die in den letzten Jahren Nobelpreise bekommen haben. Stets sind sie in jungen Jahren nach Amerika ausgewandert. „Brain Drain“, den Abzug der Besten, nennen Experten das.

Schölers Geschichte könnte man noch mit einer Menge trockener Zahlen und Statistiken untermauern. Sie alle zeigen: Nicht nur die deutsche Wirtschaft, auch die Wissenschaft schrumpft. Das Kapital der Köpfe wird kleiner. Damit das anders wird, muss sich eine Menge ändern.

Beginnen wir mit der Mentalität. Noch immer zehrt das Land vom Nimbus, die Heimat Einsteins, Plancks und vieler anderen Koryphäen zu sein. Auto, Röntgenstrahlen, Antibiotika (und ungezählte andere Medikamente), Kernspaltung, Computer und sogar das Fax – sie alle wurden hierzulande entdeckt oder erfunden.

Sind solche Pionierleistungen heute noch möglich? In Deutschland? Wohl kaum. Man muss sich nur vor Augen halten, mit welcher Hartnäckigkeit zum Beispiel die Entwicklung der grünen Gentechnik gebremst wird, um zu verstehen, dass sich ein grundsätzlicher Wandel vollzogen hat. Zwar ist das Auto noch immer des Deutschen heilige Kuh und um den Computer kommt man auch nicht herum. Aber das Bedenkenträgertum und seine kleine Schwester, die Bürokratie, ersticken Innovationen.

Die aggressive Neugier, wie sie typisch für Forschung ist, der Mut, Grenzen zu überschreiten und Neuland zu betreten – sie fehlen diesem Land vielerorts. Gerade sie sind der Motor des Fortschritts. Ein Wort, das anrüchig geworden ist. Vor lauter Risiken sehen wir die Chancen nicht mehr.

Es fehlt auch an Geld. Sind die Sonntagsreden von der Wissensgesellschaft verklungen, geht es wieder ans Sparen an der falschen Stelle. Statt anzustreben, die öffentlichen Ausgaben für die Forschung weiter zu erhöhen, stagniert der Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bei 2,4 Prozent. In den USA liegt der Anteil bei 2,8 Prozent. Drei Prozent sollten es eigentlich sein. Andernfalls werde Deutschland zum Museum, sagt selbst Wirtschaftsminister Clement.

Und dann sind da die Strukturen. Noch immer ist das deutsche Wissenschaftssystem zu starr, zu überreguliert und ohne ausreichende Entwicklungschancen für junge Forscher und talentierte Wissenschaftler aus dem Ausland. Dafür tragen der Staat und die Politik die Verantwortung – auch mit ihrem Verbot von Studiengebühren – , aber nicht sie allein. Auch die Hochschulen müssen flexibler werden und mehr Wettbewerb wagen. Wer sagt denn, dass wir in Deutschland nicht auch hervorragende Universitäten haben könnten? Es muss ja nicht gleich Harvard oder Oxford sein.

Zwar besteht kein Anlass zur Beschönigung, aber völlig trostlos ist die Lage auch wieder nicht. Deutsche sind nicht dümmer als Amerikaner. Noch immer sind viele Bereiche der Wissenschaft gut ausgestattet oder werden hervorragend gefördert. In Sachen Auto-Technik und Maschinenbau steht das Land nach wie vor an der Weltspitze. Aber das sind „klassische“ Industrieprodukte und nicht die großen Zukunftsfelder.

Klar ist auch: Selbst ein ehrgeiziges und optimal austariertes Wissenschaftssystem könnte die Hegemonie der USA in der Forschung nicht in Frage stellen. Aber Deutschland könnte ein harter Konkurrent sein. Wenn es nicht aufpasst, wird es zum bemitleideten Nachhilfeschüler.

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