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Meinung: Mut zur Größe

Die EU-Erweiterung ist eine Chance – aber die Union übt sich in Kleinkrämerei

Von Albrecht Meier

Es ist fast schon unheimlich, wie geräuschlos die Erweiterung der Europäischen Union über die Bühne geht. Verpackt in technokratische Empfehlungen der Brüsseler Kommission, verbirgt sich hinter dem EU-Fortschrittsbericht des deutschen Kommissars Günter Verheugen eine gewaltige politische Botschaft: Im Jahr 2004 werden knapp 75 Millionen Menschen zusätzlich zur Europäischen Union gehören, die EU wird von 15 auf 25 Mitgliedstaaten anwachsen. Ähnlich wie beim Euro, der auch erst richtig im Bewusstsein der Leute ankam, als er im Portemonnaie klimperte, bereitet sich die Bevölkerung ohne rechte Lust auf die Erweiterung vor. Kein Wunder, denn schließlich löst die Erweiterung zahlreiche Ängste aus: Massenhafte Zuwanderung aus Osteuropa, neue Konkurrenz um Arbeitsplätze und zunehmende Kriminalität.

Vor allem in Deutschland und Österreich grassieren diese Ängste, die in der Regel völlig übertrieben sind. Wer angesichts möglicher polnischer oder tschechischer Job-Konkurrenz um seinen Arbeitsplatz bangt, sollte sich die Süderweiterung der Gemeinschaft vor zwanzig Jahren vor Augen halten. Auch sie führte zu keinem massenhaften Sturm auf Europas Arbeitsmärkte. Hinzu kommt, dass viele der osteuropäischen Wirtschaften inzwischen schneller wachsen als die der „alten“ EU-Staaten. Weitere Exporte in die „neuen“ EU-Staaten könnten darüber hinaus dazu beitragen, Arbeitsplätze in Osteuropa zu sichern und zu schaffen. So schnell wendet sich das Blatt: Inzwischen reden Wirtschaftsforscher sogar davon, dass die EU-Erweiterung nicht zu mehr, sondern zu weniger Zuwanderung aus Osteuropa führen könnte.

Trotz dieser guten Zukunftsaussichten bleibt die Erweiterung ein Angst-Thema, mit dem sich Politiker ungern die Finger verbrennen. Die alte und neue Bundesregierung hat schon früh, damals noch in Bonn, ihren eigenen Grund-Sound zur Erweiterung entwickelt. Ohne eine Reform der Agrarpolitik, postulierte Außenminister Fischer schon vor knapp vier Jahren, wird die Erweiterung zur Explosion des gesamten EU-Systems führen. Reformiert worden ist seither nicht sehr viel. Und auch auf den entscheidenden Metern vor dem Kopenhagener Gipfel wird es nicht zu revolutionären Umwälzungen in der EU-Agrarpolitik kommen. Nettozahler Deutschland wünscht sich aber diese Veränderungen.

In dieser Situation, da die Finanzierung der EU-Erweiterung den Haushältern weiter Bauchschmerzen bereitet, das ganze Projekt aber auch nicht zerredet werden soll, schlägt die Stunde der Technokraten: Sie loben, wie jetzt in Brüssel, die Aufholjagd der Slowaken, preisen die marktwirtschaftliche Stärke der Zyprioten und Malteser und schreiben den Polen wegen ihrer mangelhaften Lebensmittelsicherheit eine Mahnung ins Stammbuch. Das ist schon einmal nicht schlecht, denn in der Bevölkerung wächst damit ein wichtiges Gefühl: Bei der Erweiterung geht es mit rechten Dingen zu. Übergangsfristen – etwa bei der Öffnung der Arbeitsmärkte – tun ein übriges, damit die Landung nach dem „Big Bang“ des Beitritts von zehn neuen Staaten auf beiden Seiten nicht zu hart wird.

Aber all das reicht nicht. Die Schritte zu ihrer eigenen Einheit haben die Deutschen naturgemäß mit großer Anteilnahme verfolgt. Die EU-Erweiterung scheinen sie dagegen eher achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen, sofern sie nicht in einer der betroffenen Grenzregionen leben. Wenn aber die breite Öffentlichkeit die bevorstehenden Veränderungen in der EU nicht als Chance erkennt, dann droht das ganze Projekt zu scheitern. In den nächsten Wochen sind genügend Fallen aufgestellt – angefangen mit dem irischen Referendum über den Nizza-Vertrag. Dann droht Europa wieder zum Basar werden – beim Streit über Agrarbeihilfen ist das so unvermeidlich wie bei der Verfassungsdebatte. Da zählen dann wieder die nationalstaatlichen Interessen. Aber wie wäre es, wenn die Politiker der EU-Staaten der Kleinkrämerei ein Ende machten – sonst verspielen sie die Einigung der EU.

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