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My BERLIN: Dem Ku’damm fehlt der Käsekuchen

Zu den Traditionen der „Times“ gehört es jedes Jahr, dass der Leser, der als Erster einen Kuckuck hört, einen Brief an die Zeitung schreibt. Für Engländer hat erst dann der Frühling richtig begonnen.

Zu den Traditionen der „Times“ gehört es jedes Jahr, dass der Leser, der als Erster einen Kuckuck hört, einen Brief an die Zeitung schreibt. Für Engländer hat erst dann der Frühling richtig begonnen. In Berlin geht es schlichter zu: Der Frühling ist gekommen, wenn man in den ersten Haufen tiefgefrorener Hundekacke tritt, der seit Dezember unter einer Schneedecke verschwunden war. Die Gehwege legen alles offen: Silvesterknaller, leere Sektflaschen, skelettierte Weihnachtsbäume. Jetzt, wo sich der Schnee verzogen hat, wirkt Berlin ein bisschen wie Pompeji, eine riesige archäologische Ausgrabungsstätte.

Der Frühling liegt also in der Luft. Frauenbeine werden wieder sichtbar – ein englisches Modemagazin verkündete in dieser Woche, dass „Beine die neuen Brüste“ seien –, Eiscafés machen auf, und man kann wieder Menschen in Charlottenburg besuchen, ohne dass man sich jedes Mal die Schuhe ausziehen muss, wenn man ins Wohnzimmer kommt. Sogar die Boulevardpresse, deren Reporter nur selten ihre schicken Glasbüros verlassen, spürt den Wandel. Das Krisenjahr 2009 schien 15 Monate zu dauern, jetzt ist wieder Zeit für die heiteren Dinge des Lebens. Der Aufmacher in der B.Z. in dieser Woche lautete: „Ich brachte Walter Ulbricht heimlich Eistanzen bei.“ Die Geschichte war so absurd, dass ich erst mal darüber stolperte.

Dagegen hat Wowi die Stimmung wieder mal getroffen. Seine Nase zuckt wie die eines Jagdhundes – ich finde, er hat etwas von einem großen, etwas tollpatschigen Labrador –, sobald er einen Trend unter den Wählern wittert. Erst preist er die Verschönerung der Gegend um den Bahnhof Zoo, als wolle er die kosmetische Aufwertung von West-Berlin zu seinem Vermächtnis machen. Dann lässt er sich mit BSR-Mitarbeitern frühmorgens in der Kantine filmen und legt ein persönliches Bekenntnis zum Frühjahrsputz ab. Es war eine ungewöhnlich aktive Woche des Regierenden.

Aber die Pläne für Berlin-West, ob mit oder ohne Riesenrad, gehen an der Realität vorbei. Ästhetischer Mittelpunkt des Westens war nie der zunehmend überflüssige Bahnhof Zoo, sondern der Ku’damm. Man sollte sich darauf konzentrieren, aus diesem Boulevard, früher einmal eine der großen Straßen Europas, wieder eine Flaniermeile zu machen.

Auf dem Ku’damm haben die Berliner immer auch das Ende des Winters zelebriert. Tische werden nach draußen geschoben, und auf der Sonnenseite der Straße läuft man an Horden von LatteMacchiato-Trinkern vorbei, die ihre Gesichter der Sonne nachdrehen, als folgten sie einem primitiven Menschheitskult.

Ich traf mich dort mit einer befreundeten älteren Schauspielerin, um für das 125-jährige Ku’dammJubiläum im nächsten Jahr zu recherchieren. Sie benutzt einen Elektro-Rollstuhl, und zum ersten Mal seit Monaten konnte sie wieder den Gehweg benutzen. Wir begannen in Halensee und passierten das frühere Restaurant „Aben“ (Ku’damm 103), wo die Kellner rote Mäntel trugen und Helgoländer Hummer servierten. Dann kamen wir am früheren „Kopenhagen“ vorbei, Hausnummer 203 – in dem großen, Mitropa-ähnlichen Lokal gab es Aal mit Rührei. Später waren wir dort, wo früher die Konditorei „Möhring“ war, in der Helmut Kohl seinen doppelten Käsekuchen aß. Anschließend passierten wir das Haus der Konditorei „Schilling“, in dem Helmut Kohl Obsttorte mit Sahne aß. Aber der Ku’damm ist kein Schaufenster, kein sozialer Aussichtspunkt mehr.

Daran können zugegebenermaßen weder der Ku’damm-Bewohner Wowereit noch irgendjemand anderes viel ändern. Am Ende unserer kleinen Runde war meine Bekannte dennoch den Tränen nahe: Erst jetzt wurde ihr klar, wie wenig vom Ku’damm geblieben war.

Ihr Vorschlag: Man solle aus dem Ku’damm so etwas wie den Broadway Berlins machen. Natürlich gibt es schon die Schaubühne und das bald von David Chipperfield aufgemöbelte Theater im Ku’damm-Karrée. Aber die Menschenmassen, die abends ihr Geld loswerden wollen und nur auf einen Adrenalinkick warten, werden davon nicht angezogen. Vielleicht ist die Idee auch altmodisch. Harald Juhnke ist nicht mehr unter uns und hat stattdessen auf einem Barhocker im Himmel Platz genommen. Aber der Ku’damm braucht kreative Ideen. Verbilligte Mieten für Modedesigner zum Beispiel. Oder Workshops für kreatives Schreiben im verlassenen Gebäude von Burger King. Cafés und Käsekuchen werden dann schon kommen. Es ist höchste Zeit, sich im Roten Rathaus darüber mal ein paar Gedanken zu machen.

Aus dem Englischen übersetzt von Fabian Leber.

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