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My Berlin: Der deutsche Kellner: Ich rieche, also bin ich

Roger Boyes von der "Times" mit einer Typisierung der Kellner, die den internationalen Ruf des Herrn Ober ruiniert haben.

Es war seltsam, aber auch eine Bestätigung, als ich diese Woche wieder einmal in einem polnischen Restaurant war und mir ein Teller mit lauwarmen Piroggen mit einem dumpfen Geräusch vor die Nase gesetzt wurde, als wäre der Otto-Katalog gerade in meinem Briefkasten gelandet. Prosze – bitte – sagte die Bedienung, eilte davon und nahm ihre Arbeit wieder auf, die darin bestand, ihre Nägel vampirrot anzumalen. Ich habe sie nie wiedergesehen, nicht mal, als ich versuchte, die Rechnung zu bezahlen. Das ist der Service, den ich aus den kommunistischen 80er Jahren erinnere, als Kellnerinnen mit hochgekrempelten Armen und zwei Tage getragenen Hemden „Zeraz, zeraz“ – bin gleich da – raunten, bevor sie auf eine Zigarette nach draußen gingen und ein ausführliches Gespräch mit dem Koch begannen. Es war eine Zeit, als Kellner die Freiheit hatten, ihrem Hass auf den Service Ausdruck zu verleihen, davor, ihre Köpfe wie Knechte vor privilegierten Gästen zu neigen. Heutzutage ist es schwierig, in England ein Restaurant ohne fröhlich-effizientes polnisches Personal zu finden, das meist nett ist und immer gebildet. Der eingeborene englische Kellner ist fast ausgestorben.

Worum es mir geht: Man sollte einen Kellner nicht nach seiner Nationalität beurteilen, sondern danach, wo er stationiert ist. Wenn er zu Hause ist, wird er zum Klassenkämpfer, zum Protorevolutionär. Das ist ein globales Phänomen: Von einem englischen Kellner in einem englischen Restaurant bedient zu werden, ist so ähnlich, als wenn dir ein schlecht gelaunter Joschka Fischer dein Roastbeef und deinen Yorkshire- Pudding bringt (mit Schröder in der Küche, gemäß dem Koch-Kellner-Paradigma). Der Kellner verachtet seinen Job und sich selbst. Im Ausland jedoch sieht er sich als Botschafter seiner Nation.

Tatsächlich sind Kellner Teil der Schauspielberufe, und ihre besten Aufführungen finden auf fremden Bühnen statt. Man kann das auch in Deutschland sehen: Ausländische Kellner sind enthusiastisch, eingeborene zurückhaltend. Zum Beispiel die außergewöhnlichen Kellner im „Good Friends“ in der Kantstraße. Sie können sich im Nu die Bestellungen eines Tisches mit acht Gästen merken, weitere Bestellungen von einem Dutzend anderer aufnehmen und bringen dennoch nichts durcheinander. Hier werden sie als Magier gesehen. Wenn sie Kellner in ihrer Heimat Schanghai wären, würden sie von den Einheimischen als Tölpel angesehen. Italienische Kellner werden in Deutschland dafür geschätzt, dass sie Frauen das Gefühl geben, attraktiv zu sein, Kinder als Gleichberechtigte und Männer als Komplizen im großen Spiel der Liebe behandeln. Zu Hause, in Verona, gelten sie als Verlierer.

Aber was ist mit deutschen Kellnern? Warum werden sie nie in die großen Restaurants Europas exportiert? Warum stellen die Reichen zwar Deutsche als Kindermädchen, Bootsjungen, Tennistrainer und Kosmetiker ein, aber nie in ihren Restaurants? Warum erleben wir den deutschen Kellner nie auf der Höhe seiner Kunst, weit weg von den guten Stuben Düsseldorfs oder Stuttgarts? Der Grund ist, dass deutsche Kellner nicht sehr selbstsicher sind, kein Talent haben und schlecht ausgebildet sind. Vier Kellnertypen haben den internationalen Ruf des Herrn Ober ruiniert:

1. Der Besser-Wisser-Kellner. Er lauscht auf die Unterhaltungen seiner Gäste und ist sich sicher, dass seine Meinung zählt. So wie: „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber du solltest nicht auf deine Freunde hören – du brauchst wirklich kein Facelifting.“ Das ist ein ungelenker Versuch, italienischen Flirt mit teutonischer Überheblichkeit zu verbinden. Schlimmer noch ist der politische Kellner: „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich auch was sage, aber du hast absolut recht, Atomkraft hat keine Zukunft.“

2. Der rückfällige Schussel. Ein Fehler ist akzeptabel, wenn er mit Charme entschuldigt wird. Zwei Fehler kann man gerade noch tolerieren, wenn die Kellnerin / der Kellner außergewöhnlich gutaussehend ist. Drei Fehler sind zu viel, und dennoch tun deutsche Kellner ihr Verhalten oft mit einem Lachen ab. Sie sind sehr selbstvergebend.

3. Den Koch verantwortlich zu machen. Mit Phrasen wie „Er hat einen schlechten Tag“ oder „Der Chef sagt, dass ein durchgebratenes Steak eine Verirrung der Natur ist. Was kann ich machen?“. Ich habe beides kürzlich in Restaurants in Mitte gehört und werde nie dahin zurückkehren.

4. Der Hygienophobe. Vielleicht gibt es ein paar englische Fetischisten, die den Achselgeruch einer Kellnerin mögen, wenn sie sich über den Tisch beugt, um ein Schnitzel zu servieren. Ich bin keiner von ihnen. Doch in Berlin ist der „Verschwitzte-Blusen-Trend“ gerade in – und das ist Absicht: Es ist eine andere Art für frustriertes Personal, zu sagen: „Schau mich an, ich bin nicht unsichtbar, ich rieche, deshalb bin ich.“ Vielleicht gibt es ja doch einen Grund, bei McDonalds zu essen.

Übersetzt von Clemens Wergin.

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