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My BERLIN: Die Füchse wissen Bescheid

Jeder im Klassenzimmer hat seine Rolle. Es gibt den Clown, den Alleswisser, den Romeo, den Anführer, den Rabauken.

Jeder im Klassenzimmer hat seine Rolle. Es gibt den Clown, den Alleswisser, den Romeo, den Anführer, den Rabauken. Dave Taylor war der Zauberer. Er hatte bodenlose Taschen, aus denen er Schnüre, Rosskastanien, Murmeln, Kaugummi, ein Taschenmesser, sogar ein zerbrochenes Kruzifix zerren konnte. Sein größter Schatz war die Stinkbombe – eine Glastube, die mit einer Flüssigkeit gefüllt war, die, wenn man sie schüttelte und verteilte, die ganze hintere Reihe der Schulkapelle nach Luft schnappen und fast ersticken ließ.

Ich dachte an Dave (der jetzt leitender Angestellter einer Ölfirma ist), als ich neulich im Garten von einem abscheulichen, gasartigen Gestank überwältigt wurde. Es war, wie mich ein kenntnisreicher Freund aufklärte, die Urinspur eines Fuchses. Der große englische Dichter Ted Hughes, eher ein Mann der Provinz, hat beschrieben, wie Inspiration über ihn kam: „Wie der plötzliche, beißende Gestank eines Fuchses dringt sie ein in die dunkle Leere des Kopfes.“ Gut, über Inspiration weiß ich nicht viel, aber das mit dem Aroma klingt überzeugend: ein plötzlicher, beißender Gestank.

Vor 10, 20 Jahren wäre es für den Einwohner einer belebten europäischen Stadt noch völlig unvorstellbar gewesen, einem herumstreifenden Fuchs zu begegnen. Wann immer mein Terrier Mac sich jetzt dagegen seltsam verhält, weiß ich, dass wieder mal ein wildes Tier bei uns unterwegs war. Langsam habe ich den Eindruck, Tiere füllen den Raum, den die sich zurückziehende Menschen schaffen. Da ist der Waschbär in der Tiefgarage vom Park-Inn-Hotel. Experten sagen, es gibt mittlerweile 120 Waschbärenfamilien in Berlin, aus irgendeinem Grund vor allem in Steglitz. Waldeulen jagen Mäuse in Frohnau, es gibt Dachse in Siemensstadt, Rehe verbringen ihre Brunftzeit damit, den Verkehr auf der Königsallee zum Erliegen zu bringen. Wildschweine bahnen sich ihren Weg durch Schrebergärten, wo sie Legionen von Plastikzwergen niedermetzeln, an Deutschlandfahnen kauen und an leeren Bierkisten schnüffeln.

Während die Stadt schrumpft, steigt die Zahl der Tiere. Ein Phänomen, das überall im entvölkerten Osten zu besichtigen ist, nicht nur in Berlin. Auch die Wölfe kehren zurück; zuerst bevölkerten sie Militärareale, jetzt nähern sie sich den Städten. Europaweit sind sie auf dem Vormarsch, der Grund ist immer dasselbe: Sie merken, dass der Mensch sich ändert. Warum ziehen italienische Wölfe über die Alpen nach Frankreich? Weil die Hirten in den Bergen dort ihre Schafe allein ließen; junge Leute wanderten aus ihren Dörfern aus, ganze Schäferdynastien sind ausgestorben.

Noch gibt es keine Wölfe auf dem Ku’damm. Aber Füchse. Um die 2000 soll es in der Stadt geben. Im letzten Jahr sah ich einen einsamen Fuchs die Schlüterstraße entlangziehen, vorbei am Ovest (Lammkoteletts 19 Euro), an einem Udo-Walz-Salon, vorbei am Nu (Filetsteak 18,50 Euro), am Good Friends (Peking-Ente 20 Euro pro Person). Der postmoderne Fuchs hat eine Nase für die Abfalleimer der Reichen. Letzte Woche sah ich einen am Stuttgarter Platz; eine dieser Eckkneipen ließ er links liegen; lieber trabte er zu einem In-Italiener. Wenn ich Eigentum am Stutti hätte – ich würde die Mieten erhöhen: Es gibt kein besseres Zeichen für den Reichtum eines Kiezes als die Anwesenheit eines Fuchses.

Wenn man den 2000 Füchsen Mikrochips einpflanzte, würde man einiges über die soziale Struktur der Stadt lernen. Für einen Fuchs hat es überhaupt keinen Sinn, in Neukölln rumzulungern, es sei denn, er liebt Döner. Die Reichen in der Stadt – die mit den lohnendsten Abfalleimern – konzentrieren sich auf ein paar schmale Streifen. In anderen Städten sind Reiche dabei, in ärmere Bezirke zu ziehen, sie zu „entdecken“ und hip zu machen; Mieten und Grundstückspreise steigen, private Ausgaben auch. In Berlin nicht. Neukölln und Wedding – abgesehen von ein paar Straßen – sind genauso runtergekommen wie vor einem Jahrzehnt. Die Reichen in der Stadt bleiben lieber dort– außer sie gehen abends aus –, wo sie sich am besten vom Rest der Stadt abgrenzen können. Keiner weiß das besser als Füchse.

Im Übrigen gibt es keinen Grund, sich vor Füchsen zu fürchten. Tollwut ist kein Thema mehr – dank der in Fettresten, Fisch oder Paraffin versteckten Impfstoffe. Wahrscheinlich leben Füchse heute gesünder als wir. Mein Vorschlag ist deshalb: Statt sie zu töten und Pelzmäntel aus ihnen zu machen, sollten wir sie zu Haustieren für die Reichen und Schönen machen; von den Mülleimern teurer Trattorias sollten wir sie upgraden – hin auf den Schoß ihrer neuen Herrinnen. Sie sind unter uns – warum sie nicht legalisieren? Wenn da nur der Geruch nicht wäre …

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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