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My Berlin: Endlich wieder Oktoberfest

Vergangene Woche kam eine Einladung, in den ersten Höllenkreis einzutreten. Natürlich habe ich angenommen. Das Oktoberfest ist die letzte große Herausforderung für einen Journalisten: die merkwürdigste, mysteriöseste aller deutschen Traditionen.

Wie schafft es ein Schurkenstaat (Bayern), der von niemand Besonderem geführt wird, sechs Millionen Menschen anzulocken, damit sie in einem See von Kotze sitzen? Es ist Europas größte Orgie – doch trotz der verdächtig hohen Zahl Münchner Babies im Juni eine vornehmlich sexlose. Australier und Amerikaner organisieren ihre Deutschlandbesuche ums Oktoberfest herum, und sogar die Blogger führen im Internet eine Debatte über die Vor- und Nachteile von Paulaner- und Augustiner-Bier. „Ich habe die Nase voll vom Hofbräu-Zelt“, sagte eine Amerikanerin. „Auf ins Hippodrom“, antwortet eine andere. „Ich möchte mich mal richtig dem Spatenbräu hingeben.“ Ehrlich gesagt, nach der zweiten Maß (8 Euro 50!) weiß ich nicht, wie jemand noch den Unterschied erkennen kann. Ich war erst einmal auf dem Oktoberfest und erinnere mich nur noch an die Stapel männlicher japanischer Touristen, die überwältigt waren von der großartigen, im Schwinden befindlichen deutschen Braukunst.

Dieses Jahr verspricht jedoch ganz anders zu werden: Ich gehe ins Käfer-Zelt, das für diese paar Tage vermutlich die peinlichste Zone in ganz Deutschland ist. Es ist der Ort, an dem sich das, was in der deutschen Gesellschaft als Glamour gilt – Boris Becker! Veronica Ferres! Uschi Glas! – mit der Bierokratie vereinigt. Und damit natürlich in einer Bilderstrecke in der „Bunten“ landet. Normalerweise schmeißt jemand mit maßgeschneidertem Dirndl und Locken, die der Star-Friseur Gerhard Meir gedreht hat, seine Schuhe in die Ecke und tanzt auf dem Tisch. Ein Akt ohne Sinn und Verstand – und deshalb so fesselnd. Ich kann es kaum erwarten.

Diesmal muss ich mich wohl anständig ausstatten. Ins Hofbräu- Zelt kann man einfach so reingehen, im Käfer aber muss man uniformiert sein. Doof, wie ich bin, dachte ich, ich könnte ein Paar Lederhosen bei Franconia kaufen, dem Jagdgeschäft – weil es grüne, lederne Dinge an blutrünstige niedere Adlige verkauft. Aber nein: Echte Oktoberfest-Lederhosen kauft man beim Angermeier in München. Was einem aber niemand über dieses merkwürdige Kleidungsstück sagt, ist, dass man darin nicht mehr auf die Toilette gehen kann, ohne eine Sauerei zu veranstalten. Die schottischen Kilts sind in dieser Hinsicht viel besser. Die Kombination aus grobem, engem Leder, großem Bierkonsum und einer schwachen Blase führt zur Katastrophe.

Das Oktoberfest wird also ein interessantes Spektakel: Die Statistik, 980 Sitztoiletten, 878 Meter Standtoiletten, beruhigt mich jedenfalls nicht.

Ich vermute, dass ich eingeladen wurde, weil die Engländer als legendäre Trinker warmen, suppigen Ales gelten und man ihnen nicht zutraut, sich nach dem Genuss von wahrem bayrischen Gebräu aufrecht zu halten. Wenn also das Gespräch ins Stocken gerät (und wie viele Oscar-Wilde- artige Gespräche finden wohl auf der Wies’n statt?), kann man sich immer noch über den dummen Ausländer lustig machen. Das ist eine durchaus realistische Einschätzung: Ein wissenschaftlicher Vergleich englischen und deutschen Trinkverhaltens hat gezeigt, dass die Engländer in der Anfangsphase zu schnell trinken, einerseits, weil sie dehydriert sind, andererseits, weil sie die Macht des Alkohols unterschätzen, vor allem aber, weil sie ihre chronische Verlegenheit ablegen wollen. Angetrunken hält der Engländer sich für geistreich und unwiderstehlich. Leider ist die Phase zwischen verlorenen Hemmungen und Koma nur kurz. Der deutsche Trinker dagegen kontrolliert sein Tempo. Der Bayer braucht kein Bier, um seine Zunge zu lösen, denn mit oder ohne Alkohol ist er nicht zu verstehen. Das Ende ist für die Deutschen und Briten meistens das gleiche: Entweder schlafen sie – mit attraktiv geöffnetem Mund – oder sie landen in der Ausnüchterungszelle.

„Bier ist viel mehr als nur ein Frühstücksgetränk“, lautet eine bayerische Weisheit. In Wahrheit trinken immer weniger Menschen Bier. Das Oktoberfest ist ein letzter, aber letztlich vergeblicher Versuch, zu beweisen, dass Bier die Welt regiert. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Sie sollten ein Alkopop-Zelt auf der Wies’n errichten, das ist, was die Jungen wollen: eklig süße Drinks auf Wodkabasis. Das Oktoberfest wird es noch ein paar Jahre geben, aber Ausländer (nicht die Australier) fragen sich bereits: Warum müssen sich die Deutschen dem Vergessen anheimgeben, um glücklich zu sein? Ich werde versuchen, das herauszufinden. Wenn ich mich danach an irgendetwas erinnern kann.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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