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My BERLIN: Gut gemeckert lebt sich’s länger

Furchtbare Bilder aus Japan, Blut im Nahen Osten. Doch für Berlin gibt es gute Nachrichten.

Furchtbare Bilder aus Japan, Blut im Nahen Osten. Doch für Berlin gibt es gute Nachrichten. Eine Studie kalifornischer Soziologen belegt, dass mürrische Menschen länger leben. Mecker’ über die S-Bahn, tritt den Hund des Nachbarn, dreh’ dem Kunden den Rücken zu, wenn er eine Frage hat – und schon lebst du ein paar Jahre länger. Laut dieser Untersuchung der Stanford University von 1500 Menschen – die bereits 1921 als Schulkinder ausgewählt wurden – sterben fröhliche Menschen früh.

Die Logik ist folgende: Auffällig fröhliche Menschen suchen das Risiko. Sie trinken und rauchen eher und rennen gerne über die Straße, um einen Bus zu bekommen. Umgekehrt ist eine statistische Korrelation festzustellen zwischen einem mürrischen Pessimisten und jemandem, der sich um seine Gesundheit kümmert, zum Arzt geht und finanziell vorsorgt. Die unzufriedenen Berliner rechnen mit dem Schlimmsten und planen daher voraus. Das kann man empirisch überprüfen. Berliner in Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf leben am längsten, die in Friedrichshain-Kreuzberg sterben am frühesten. Warum? Weil die in der Kantstraße mürrischer sind als die im Bergmannkiez? Oder weil sie reicher sind?

Ich entschied mich für den Bäcker-Test – das ausgeklügeltste System, um die öffentliche Meinung abzufragen. Der morgendliche Kauf von Kaffee und Schrippen im strategisch wichtigen Fenster 6 Uhr 30 bis zum zweiten Frühstück um 9 Uhr 30 ist der Zeitpunkt, um die Stimmung der Nation zu testen. Lustiges Geschwätz hilft einem durch den Tag; bittere Kritik lässt einen vergrätzt zurück.

In der Schlossstraße in Steglitz, beim harmlosen Versuch, eine Puddingschnecke zu erwerben, landete ich in einer Schlange unzufriedener, hungriger Berliner: Ein Mitarbeiter reinigte den Ofen, der zweite reparierte die Kaffeemaschine und die dritte machte ein Zigarettenpäuschen. Erstaunlicherweise akzeptierte die Schlange (vornehmlich Männer, die aus dem Büro geflohen oder arbeitslos waren) diesen Zustand mit einer kuhähnlichen Geduld, die man sonst eher in Großbritannien antrifft. Als einer seinen Mut zusammennahm und auf seine Uhr tippte, fauchte der Chef: „Glauben Sie, dass sich die Welt um Sie dreht?“ Plötzlich fühlten wir uns wie unterdrückte Ehemänner, die auch noch in der Kaffeepause heruntergeputzt werden.

Aber immerhin verlängerte sich dabei unsere Lebenserwartung. Andere bestätigen mir den Aufstieg der Charlottenburger Bäcker-Hexe. Der Anwalt und Autor Ferdinand von Schirach, der im Leben bei Gott genug Mörder getroffen hat, erzählte mir neulich von einem Mann, der zum Bäcker kam. Frisch und gut gelaunt lobte er das große Angebot: „Eine schwere Wahl.“ „Soll ick etwa wat wegstellen?“, bellte die Chefin ihn an.

Am Mehringdamm jedoch traf ich auf eine charmante Verkäuferin. Dort herrschte eine Marzipancroissant-Krise – offenbar erfreut sich dieses Gebäckstück in Kreuzberg großer Beliebtheit – und sie bot an, Streuzucker auf einem normalen Croissant zu verteilen, um es so passabler zu machen.

Das war, klar, keine alles abschließende Feldforschung. Die Menschen in Charlottenburg leben länger, nicht weil sie sich ständig mit Ärzten rumärgern, sondern weil es dort mehr Seniorenheime gibt. Es ist jedoch ein Fehler anzunehmen, jedenfalls in Deutschland, dass die Reichen länger leben als die Armen. Der Einkommensunterschied zwischen einem Assistenzarzt und einem Busfahrer ist so klein, dass man nicht wirklich von einem Klassenunterschied sprechen kann. Ärzte freuen sich über Privatpatienten – die angeblichen Reichen –, aber ich glaube nicht, dass sie furchtbar viel besser behandelt werden. Sie warten genauso lange im Wartezimmer meines Hausarztes wie Kassenpatienten; die Diagnose ist auch nicht besser und die Medikamente nicht anders. Sie leben nicht länger.

Ich bin also bereit, der StanfordStudie zu glauben. Auch deren übrigen Erkenntnisse überzeugen mich: Die erwachsenen Kinder von geschiedenen Eltern sterben im Durchschnitt fünf Jahre früher als Kinder intakter Familien. Heiraten verlängert das Leben nicht, aber Männer, die nach dem Tod ihrer Frauen wieder heiraten, leben länger. Weniger zu arbeiten, lässt einen nicht länger leben – die Langlebigen hatten bis über 65 gearbeitet. Wer sich die Bezirksstatistiken anschaut und länger leben will, zieht in den Berliner Südwesten und verabschiedet sich vom unbekümmerten Leben. Und hört auf mit dem fröhlichen Grinsen.

Aber natürlich hat Woody Allen recht: Man wird 100, wenn man die Sachen lässt, für die man 100 werden will. Wer das nicht glaubt, sollte den Bäcker-Test machen.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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