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My BERLIN: Land ohne Helden

Angela Merkel wird so bald keine Statue bekommen. Echte Führung beinhaltet die Bereitschaft und die Fähigkeit, die Bevölkerung zu etwas zu bringen, was sie nicht will.

Wohin man in Washington auch geht, man trifft auf diese Politikerstatuen. Vom einen Ende blickt ein gigantischer Abraham Lincoln auf George Washington am anderen Ende der Mall. Jefferson und F.D. Roosevelt stehen auch rum. Kaum ein junger Deutscher weiß, wie Ludwig Erhard aussah; jedes amerikanisches Schulkind kann Jefferson genau beschreiben.

Wäre es nicht gut, wenn Berlin die Angst verlieren würde, seine Führer in Beton, Bronze oder Holz zu präsentieren. Verdient Konrad Adenauer nicht etwas Besseres, als in Bronze – Hut in der Hand – durch Charlottenburg zu hetzen. Was für ein Standort für einen Katholiken: der Erdbeermund-Sexshop zur Rechten, die Sushibar, wo ich mir einmal den Magen verdorben habe, zur Linken. Willy Brandt ist zum Gnom mutiert, versteckt in den Tiefen der SPD-Zentrale – ein Ort, den Menschen mit Verstand längst meiden. Bismarck ist im Grunewald auch kaum zu finden. Natürlich war Bismarck ein Kriegsführer, aber war Abe Lincoln etwas anderes? Für den modernen Einheitskanzler reicht es gerade für eine Büste in einer Einkaufsmeile. Und das Argument, dass man keine lebenden Personen mit einer Statue ehren sollte, gibt nicht viel her: Helmut Kohls historische Rolle ist klar, warum sollte man also noch 20 Jahre warten?

Deutschland braucht mehr denn je politische Vorbilder, bevor der Berufsstand vollkommen an Reputation verliert. Die neue Regierung ist noch nicht einmal 100 Tage im Amt und schon wird der eine Koalitionspartner wegen des Schreiber- Prozesses durch den Dreck gezogen und der andere als politische Filiale des Hotelgewerbes beschrieben. Kein Wunder, dass Politiker unbeliebter sind als Zahnärzte und weniger Respekt genießen als Fensterputzer. Die politischen Heroen anderer Länder leben weiter in der Alltagskultur, nur in Deutschland nicht. Die Franzosen sagen, dass sie nach „Charles de Gaulle“ fliegen, die Amerikaner nach „JFK“ . Wer nach München fliegt, redet nie von „Franz Josef Strauß“. Jetzt soll Willy Brandt Namensgeber für den neuen Flughafen in Berlin werden. Ich bezweifle, dass irgendjemand je etwas anderes als Schönefeld sagen wird.

Das deutsche Unvermögen, den politischen Prozess zu überhöhen, Helden herauszustellen, ist natürlich ein Hitler-Erbe. Es ist aber auch Ausdruck des Nachkriegskults des antiheroischen Führungsstils, der seine Apotheose in der Valiumpolitik Angela Merkels erfährt. Passenderweise war sie im Urlaub, als der Wahlkampf begann, und ist seitdem nie wirklich zurückgekehrt. Nicht weil sie faul wäre, oder eine geniale Strippenzieherin, sondern weil sie kühl kalkuliert, dass ihre neue Regierung mehr von ihrer Abwesenheit profitiert als von ihrer Gegenwart.

Angela Merkel ist eine Meisterin der, wie es Soziologen nennen, „situationsbezogenen Führung“; sie wartet, bis Debatten einen gewissen Siedegrad erreicht haben. Dann schreitet sie ein und setzt Prioritäten. Sie macht das effektiv, verliert aber gerade in dem Moment Zeit, in dem eine neue Regierung an Geschwindigkeit zulegen sollte. Und wenn sie nicht auf diese Weise führt, dann ist sie auf Autopilot. Sie beobachtet genau, ob deutsche Interessen berührt sind und handelt, falls sie beschützt werden müssen. Merkel konnte so regieren, weil sie in den vergangenen vier Jahren keine Opposition hatte und einen schwachen Koalitionspartner.

Nun muss sich dieser passive Stil ändern. Das Absurde der Merkel’schen Position wurde in den vergangene Wochen offensichtlich: Deutschland hat keine Afghanistanpolitik, obwohl Barack Obama den Konflikt als die entscheidenden Herausforderung für den Westen betrachtet. Sechs Monate hat sich Deutschland um die Debatte gedrückt, weil Obama sich noch nicht entschieden hatte, was er vorhat. Nun wird der Diplom-Afghanologe Obama bei der Londoner Konferenz sagen, was er erwartet. Deutschland ist unglücklich über Obamas Forderungen, verfügt aber über kein Gegenargument, weil es keine eigenen Vorstellungen entwickelt hat.

Merkel wird also so bald keine Statue bekommen. Echte Führung – die, die Vertrauen in den politischen Prozess schafft – beinhaltet die Bereitschaft und die Fähigkeit, die Bevölkerung zu etwas zu bringen, was sie nicht will. Merkel muss lernen, anders mit den Deutschen zu reden: ihnen sagen, was ist und was nötig ist; Unterstützung für die Bundeswehr wecken; Haltungen verändern. Kohl überzeugte die Deutschen, echte Opfer für die Wiedervereinigung zu bringen, sogar die D-Mark aufzugeben. Merkel ist beliebt, weil sie niemals solche Risiken eingegangen ist wie Kohl. Ich glaube nicht, dass sie einmal einen Flughafen kriegen wird.Und wenn, dann freue ich mich schon auf die Überschrift: Wegen Nebel Chaos auf dem Angela Merkel International Airport, Templin.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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