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My BERLIN: Merkels Sonderzug aus Templin

Roger Boyes, The Times über Angela Merkels Vorliebe für glattrasierte, unaufdringliche, hellblonde Männer.

Die Halle war voll und schummrig, aber es war das Jahr 1967, und Udo Jürgens trug noch keine Lesebrille. Natürlich kannte jeder in der DDR Udo und wollte, dass er den Eurovision Song Contest gewinnt. Er war sexy, aber nicht grob oder echt gefährlich wie die Jungs aus England. Bisschen Gentleman, bisschen Schweinehund. Ein typischer Kärntner.

Und stellen Sie sich nun vor, hinten im Raum, nur zu erkennen für Udos außergewöhnliche Frauen-Scanner-Augen, ein ernsthaftes Mädchen, älter aussehend als es war. Dunkelblond. Ihre Augen treffen sich. Und, sie direkt anblickend, singt Udo sein Meisterwerk: „17 Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir. / 17 Jahr, blondes Haar, wie find ich zu ihr? / Lalalaaa … Lalalaaa … Laalaalaalaalaaaaa!“ Das Mädchen, das nicht weiß, dass es Udos Muse geworden war, ist aber trotzdem merkwürdig berührt. Sie wird Mitglied bei der FDJ und nach einer Weile Bundeskanzlerin Deutschlands. Das einzige Indiz, dass damals Chemie am Werke war: Die Bundeskanzlerin hat eine Vorliebe für (männliche) Blonde: Ulrich Wilhelm, Christian Wulff, Ole von Beust – glattrasierte, unaufdringliche, hellblonde Männer sind die einzigen, denen sie wirklich vertraut.

Der Sänger schläft unterdessen mit vielen, vielen (weiblichen) Blonden, heiratet schließlich eine, die ihn dann für Ronald Schill verlässt, den Mann, der fast zu Ole von Beusts Nemesis geworden wäre. Gab es jemals ein Udo-Angie-Moment? Wenn Deutschland die investigativen Reporter hätte, die es verdient hat, würden die sich jetzt sicher um die DDR-Tour von Udo Jürgens kümmern und das mit den Aufenthaltsorten des Mädchens aus Templin abgleichen. Nicht nur weil es Frankreich zeigen würde, dass die Verbindung zwischen dem Kleinen Nick und Carla Bruni nicht originell ist – sondern weil die Biografen so mehr über Merkels Haltung zu 1968 herausfinden könnten.

Die Kanzlerin gab vergangene Woche dazu in einem Interview mit der eindrucksvollen Evelyn Roll etwas preis. Die Revolution kam durch das Westfernsehen gefiltert. „Vor allem natürlich die, wie wir damals fanden, sympathische, leichte, amerikanische Bewegung: Musik, Joan Baez, Bob Dylan, die Hippies.“ Kein Wort zu Udo. Aber das ist die Art Geheimnis, das man für sich behält. West- TV zeigte auch hässliche, sehr un-Udo-ische Protestler. „… die Straßenschlachten, die mir in ihrer Erscheinungsform überhaupt nicht sympathisch waren.“

Später, als sie Karriere bei der FDJ machte, hatte sie, begrenzt, Macht über das Musikangebot in der DDR. Bei Partys organisierte sie die Zutaten für Kirschwhiskey: „Und Platten haben wir aufgelegt, sogar gute Musik. 60 Prozent Ostmusik und 40 Prozent West war Vorschrift. Aber das bezog sich unserer Interpretation nach auf die Titel und nicht auf die Länge, so dass wir dann häufig die Osttitel nur angespielt haben.“

Und so infiltrierte Udo die Gehirne jener jungen Ossis, die später einmal das Comeback von Oskar Lafontaine organisieren, in den Schlangen der Arbeitsämter warten und auf der Aboliste der „Super-Illu“ stehen würden. Jahr um Jahr produzierte Udo politisch subversive Lieder, alle an das dunkelblonde Mädchen hinten in der Halle gerichtet. Merkels politische Evolution erstreckte sich von „Lieb Vaterland“ (1971) – sie entwickelt erste Vostellungen vom entspannten Patriotismus – zum 1982-Hit „5 Minuten vor 12“, der ihr die Bedeutung des Umweltschutzes deutlich macht. Lange nachdem die Rolling Stones im Heroinrausch versunken waren, arbeitet Jürgens an Merkels politischem Programm. Überbevölkerung? „Gehet hin und vermehret Euch“ (1988). Die Gefahr eines dritten Weltkriegs? „Am Tag davor“ (1984). Drogen? „Rot blüht der Mohn“ (1983). Künstleroische Freiheit im Polizeistaat? „Sänger in Ketten“ (1989).

Hat Udo so den Lauf der Geschichte verändert? Frau Merkel, so viel ist klar, hat kein Verständnis für pompöse Ex-Marxisten, die noch immer denken, sie hätten durch lange Reden im Asta die Welt verändert. Die sich verhalten, als sei 1968 ihre, eine westdeutsche Erfindung. Als ob der Generationenkonflikt, die Ablehnung der Väter, eine natürliche Weiterentwicklung des Klassenkampfes sei. Udo, Jahrgang 34, war nie Teil davon. Und Angie auch nicht. Für sie war 1968 das Jahr, in dem Warschauer-Pakt-Panzer den Prager Frühling zermalmten. Das war die wahre, nachhaltige Bedeutung von 1968. Ich bin froh, dass das Land, während es wieder einmal ein 68-Erinnerungsfest feiert (das die Boulevardzeitungen nutzen, um wieder einmal Uschi Obermaiers Brüste zu zeigen), von einer Politikerin geführt wird, die Ideologien skeptisch betrachtet. Hatte Udo Jürgens etwas damit zu tun. Das wüsste ich gern. Eines ist klar: seine Erfolgsgeschichte als Politikbeeinflusser in Deutschland. Jeder weiß, dass Helmut Kohl seine Muse für das Lied „Aber bitte mit Sahne!“ war.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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