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Er habe wegen seiner Prothese einen Vorteil im Wettbewerb und darf deswegen nicht antreten. Leichtathlet Markus Rehm.

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Nach dem Fall Markus Rehm: Wenn Inklusion zu gut funktioniert

Der unterschenkelamputierte Markus Rehm darf nicht bei der Leichtathletik-EM antreten. Das zeigt: Inklusion funktioniert nur solange, wie der Behinderte am Ende nicht gewinnt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Am vergangenen Wochenende ist Markus Rehm deutscher Meister im Weitsprung geworden. Weil er nur einen Unterschenkel hat, sprang er mit einer ziemlich ausgefeilten Federprothese. Er sprang viel zu weit – die Prothese funktioniere offensichtlich besser als ein natürlicher Fuß, hieß es danach. Deshalb darf Rehm jetzt nicht bei der Europameisterschaft starten. Der Fall zeigt: Die Selbstverpflichtung der Gesellschaft, allen Bürgern die gleiche Chance zur Teilhabe am Leben zu geben, läuft ins Leere.

Denn Inklusion funktioniert nur in Ausnahmefällen – und dann auch nur solange, wie der Behinderte am Ende nicht gewinnt. Viele körperlich Behinderte können inzwischen ohne Probleme an Regelschulen lernen. Prothesen, Hörgeräte und Implantate, Sehhilfen und andere Innovationen der Medizintechnik haben in den vergangenen Jahren revolutionäre Fortschritte gemacht. Deshalb können viele junge Menschen heute oft normale Schulabschlüsse machen, eine normale Berufsausbildung absolvieren, oder an öffentlichen Universitäten studieren. Inklusion „made by Technik“ funktioniert. Manchmal – siehe Markus Rehm – sogar zu gut.

Den nicht behinderten Menschen verlangt das überhaupt nichts ab. Schwieriger ist es mit der Inklusion, wenn Menschen sie machen müssen, und wenn es nicht um körperliche, sondern um geistige Behinderungen geht. Hier ist meist nicht zu erwarten, dass die Inklusionskandidaten die Benachteiligung aufholen können. Sie werden meist nicht denselben Schulabschluss machen wie die anderen Schüler. Arbeitgeber können nicht erwarten, dass ihre geistig eingeschränkten Mitarbeiter dieselben Leistungen in derselben Kontinuität erbringen wie Nichtbehinderte.

Es geht um Benachteiligungen, die bleiben. Sie lassen sich nicht wegreden, und sie lassen sich auch nicht mit einer hübschen Vokabel verdecken. Schülern ist nicht geholfen, wenn sie bemerken müssen, dass sie permanent hinter dem Rest der Klasse zurückbleiben. Teilhabe beim Lernen zu versprechen, sie aber bei den Ergebnissen nicht halten zu können, bedeutet für Kinder dauerhafte Frustration. Auch für den Rest der Klasse ist es nicht immer hilfreich, Mitschüler zu haben, die mit anderen Maßstäben und Bildungszielen beurteilt werden. Inklusion ist ein Appell an die nichtbehinderte Mehrheit im Land. Ihre wahren Propheten sind nicht die Soziologen und Pädagogen. Es sind die Medizintechniker, Hörgeräteingenieure und Augenärzte.

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