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Meinung: Nach dem Sonnenschein

Südkoreas Entspannungspolitik gegenüber dem Norden blieb ohne Gegenleistung. Die neue Regierung sucht andere Wege

Sein Name stand nicht auf den Stimmzetteln: Kim Dae Jung, Südkoreas scheidender Präsident. Vor zwei Jahren war der frühere Dissident für seine Versöhnungspolitik gegenüber Nordkorea mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Laut Verfassung durfte Kim nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren.

Wahrscheinlich wäre er auch nicht wieder gewählt worden. Die große Hoffnung auf eine Annäherung an den Erzfeind Nordkorea, die Kim 1998 mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ geweckt hatte, hat sich in den Augen vieler Südkoreaner nicht erfüllt. Das Verhältnis zu Nordkorea, dem seit einem halben Jahrhundert verfeindeten Bruderland, bestimmte auch die Präsidentschaftswahl.

Der Kandidat der regierenden Demokratischen Millenniumspartei, Roh Moo Hyun, hatte im Wahlkampf betont, er wolle die Annäherungspolitik gegenüber dem kommunistischen Regime im Norden fortsetzen. In den ersten Stimmauszählungen lag Roh zwar knapp vor dem konservativen Rivalen Lee Hoi Chang. Aber die Stimmung in Südkorea hat sich spätestens seit der Enthüllung des geheimen Atomprogramms Pjöngjangs und dem verschärften Konflikt Nordkoreas mit den USA gewandelt.

Viele Südkoreaner fühlen sich von Nordkorea hintergangen, das Misstrauen gegenüber dem Erzfeind sitzt tief. Egal, wer als nächster Präsident ins Blaue Haus ins Seoul einzieht: Südkorea wird in Zukunft wieder eine härtere Linie gegenüber dem Norden verfolgen. Für viele Südkoreaner begann 1998 eine neue Ära. Mit der Wahl des ehemaligen Bürgerrechtlers Kim Dae Jung, der wegen seiner Überzeugung viele Jahre im Gefängnis saß, hatte sich Südkorea in den Augen der Bürger endlich zu einer echten Demokratie gewandelt. Kim stand für das Ende der Korruption und Vetternwirtschaft. Um so ernüchternder war es für viele Südkoreaner, als während Kims Amtszeit zwei seiner Söhne wegen Bestechlichkeit verurteilt wurden.

Seine Aufgabe als Präsident sah Kim in der Annäherung an den Erzfeind Nordkorea. Seit dem Koreakrieg (1950-53) hatte Südkoreas Regierung auf eine Politik der Konfrontation und des Kalten Krieges gegenüber dem Norden gesetzt. Mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ verfolgte Kim einen völlig neuen Ansatz. Dahinter stand die Erkenntnis, dass Seoul den Kalten Krieg mit Pjöngjang längst gewonnen hatte. Südkorea ist eines der reichsten und modernsten Länder Asiens, im stalinistischen Norden hungert das Volk.

Statt Nordkorea weiter zu schwächen, bot Kim Dae Jung Pjöngjangs Diktator Kim Jong Il Hilfe an. Seoul stellte die antikommunistische Propaganda ein und erhöhte die Hilfslieferungen an den Norden. Südkoreanische Geschäftsleute, denen bisher der Kontakt zum kommunistischen Nachbarn verboten war, wurden ermuntert, in Nordkorea Geschäfte zu machen.

Die Politik schien Erfolg zu haben: Im Sommer 2000 trafen sich die beiden koreanischen Staatschefs zu einem Friedensgipfel in Pjöngjang – dem ersten seit der Teilung der Halbinsel. Erstmals seit vielen Jahren durften auch einige hundert Koreaner ihre Familienangehörigen in der anderen Landeshälfte besuchen.

Das Problem der „Sonnenscheinpolitik“ war jedoch, dass außer einigen symbolischen Gesten keine wirkliche Entspannung stattfand. Alle Angebote des Südens, etwa die hochgerüsteten Armeen und Waffensysteme entlang der Demarkationslinie zu reduzieren, wurden vom Norden abgelehnt. Bereits beschlossene Projekte wie die Herstellung von Straßen- und Eisenbahnverbindungen zwischen den beiden Landesteilen, zögerte Pjöngjang hinaus. Um seine Annäherungspolitik zu retten, machte Kim Dae Jung immer großzügigere Angebote an den Norden. Pjöngjangs Entgegenkommen wurde immer geringer.

Unter dem neuen Präsidenten wird Südkorea weniger Geschenke an den Norden verteilen. Wenn nötig, wird Seoul, zum Beispiel in der Atomwaffenfrage, zusammen mit Japan und den USA Druck ausüben. Trotzdem war Kim Dae Jungs Amtszeit wichtig für Korea. Seine „Sonnenscheinpolitik“ öffnete erstmals die Möglichkeit für Verhandlungen – und Gesprächskanäle. Wenn Nordkoreas Führung reif dafür ist, könnte daraus eines Tages tatsächlich Frieden werden.

Harald Maass

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