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Guttenbergs Doktorarbeit in Farbe: Der Strichcode mit plagiierten Stellen auf der Website GuttenPlag.

© Tsp

Nach Guttenberg: Das falsche Maß

Guttenbergs aufgeblasenes Werk ist die Fälschung eines akademischen Betrügers. Koch-Mehrin fertigte eine Karrieredissertation und schrieb dafür aus Historikerhandbüchern ab ohne zu kennzeichnen. Für den Doktorentzug mag das reichen – auch für den Rücktritt?

Europa als Gedanke, Gewissheit und Realität könnte, am Ende dieser Stufenleiter angelangt und auf dem Weg zur Tradition, zum Scheitelpunkt zwischen Konservatismus und Moderne werden. So tönt es, zwischen Leitern, Scheiteln und Stufen, wenn Karl-Theodor zu Guttenberg seine Dissertation mit Gewissheiten und Gedanken füllt, die ausnahmsweise eigene sind. Politikersprech. Nun sind von dem Gescheiterten erstmals ein paar demütige Worte zu hören. Manches klingt ehrlich. Eine Wohltat.

Liefe nicht noch ein Ermittlungsverfahren gegen den Edelmann, er hätte allen Anspruch darauf, in seine private Freiherrenrolle zurückzukehren, nicht promoviert, doch ausgestattet mit Insignien, die andere herbeisehnen, Familie, Geld, Schönheit, Bildung, einem großen Namen. Doch mit Silvana Koch-Mehrin steht die nächste Kandidatin zur universitären Nachprüfung an; in der begründeten Sorge, sie nicht zu bestehen, gab sie jetzt alle politischen Ämter auf, nur ihr Mandat will sie behalten. Weitere Politiker könnten folgen. Wäre es anders, es bliebe den Hochschulen überlassen, Konsequenzen zu ziehen. So aber bleibt der Doktortitel politisch, und wir, Wähler und Publikum, müssen uns Gedanken machen, welchen Wert wir ihm und seinem Verlust beimessen wollen.

Wie war noch mal das verunglückte Wort von Angela Merkel, die keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter berufen haben wollte? Eine Äußerung zur Unzeit, typisch für die in Gefühlsfragen Ungeschickte, doch mit berechtigtem Kern. Es darf uns herzlich egal sein, ob Promovierte oder Nichtgraduierte uns vertreten, ob Handwerksmeister oder Hotelfachfrau, ob in Parlament oder Exekutive. Es gibt viele, die hervorragend denken und vieles wissen, ohne sich dieser Verzicht fordernden akademischen Klausur unterzogen zu haben. Merkel hat keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter berufen, und wir haben keinen gewählt.

Der Titel darf also gleichgültig sein, nicht aber, wie man zu ihm gelangte, nicht, wie man ihn verteidigt. So sehr sich die Fälle Guttenberg und Koch-Mehrin glichen, zweier ästhetischer, angenehm formulierender Erscheinungen mit dem Hang, es dabei zu belassen – hier trennte sie Wesentliches. Der hypertrophe Guttenberg schalt seine Gegner, nannte die Vorwürfe abstrus, beschwindelte den Bundestag und, besonders beschämend, lenkte mit toten Soldaten vom eigenen Versagen ab. Von Koch-Mehrin dagegen hörte man bis zu ihrer Rücktrittserklärung kein Wort. Wer sich kleiner macht, verkürzt die Fallhöhe und dämpft den Aufprall. Guttenberg indes wollte immer nur nach oben; auch noch im Skandal.

Soweit bisher bekannt, herrscht wohl auch im Plagiatsniveau Gefälle. Guttenbergs aufwendig angelegtes, auf die Höchstnote zugeschriebenes und aufgeblasenes Werk ist die Fälschung eines akademischen Betrügers. Koch-Mehrin dagegen fertigte eine anspruchslose Karrieredissertation, schrieb dafür aus Historikerhandbüchern ab und kennzeichnete das nicht, weil es als peinlich gilt.

Für den Doktorentzug mag das reichen – aber sollen künftig Rücktritte zwingend werden? Müssen alle Politikerdissertationen durchleuchtet, sollten anonyme Internet-Plagiatsjäger mit Medienpreisen dazu angehalten werden? Muss es, wie bei den Stasi-Akten, gar eine Unterlagenbehörde geben, die unsere akademische Vergangenheit aufarbeitet? Wollen wir, dass Promotionsausschüsse das politische Personal bestimmen? Guttenberg war ein Aufsteiger, ein Ausreißer, ein Sonderfall. Was er nicht ist: ein Maßstab.

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