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Meinung: Nach Kassenlage

Eine Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung wäre populär, aber falsch

Von Antje Sirleschtov

Es gibt im politischen Geschäft nur eine Forderung, die noch populärer in der Öffentlichkeit ist als die nach einer Steuersenkung. Und das ist die Aufforderung, eine bereits beschlossene Steuererhöhung zurückzunehmen. Weshalb die drei Oppositionsfraktionen – angefeuert von Interessenverbänden und unterstützt von den Herzen der Steuerzahler – die nächsten Tage intensiv nutzen werden, um die Haushaltsberatungen des Bundestages zu einer Abrechnung mit der schwarz-roten Mehrwertsteuererhöhung zu machen.

Westerwelle und Co. werden dabei eine ganze Latte von Argumenten auf ihre Seite haben, die jeder sofort nachvollziehen kann. Ganz vorn ist die Belastung der Verbraucher mit höheren Preisen, die Kaufzurückhaltung und Absatzschwierigkeiten nach sich ziehen werden. Ein gewichtiges Argument, allerdings behaftet mit dem Fragezeichen der Praxis: Werden sich die Verbraucher unkritisch einer dreiprozentigen Preiserhöhung beugen – oder vielleicht doch zu Anbietern wechseln, die die Steuer nicht gänzlich an ihre Kunden weiterreichen? Die Erfahrungen vorangegangener Mehrwertsteueranhebungen lassen eher Letzteres erwarten. Und dann gibt es da noch das prinzipielle – ordnungspolitische – Argument, nach dem die Steuerzahler schon immer am besten gewusst haben, was sie mit ihrem selbst verdienten Geld anfangen. Weshalb ihnen der Staat diese Aufgabe nicht abnehmen soll, indem er die Steuern anhebt und selbst für die Umverteilung des Geldes sorgt.

Alles richtig und gewichtig. Die eigennützigen Interpretationen der Prinzipien sozialen Marktwirtschaftens durch deutsche Politiker aller Parteien haben uns Bürger in den letzten Jahrzehnten zu Recht misstrauisch gemacht. Wir können nicht glauben, wenn uns eine Regierung erklärt, wozu Abgabenerhöhungen dringend nötig seien.

In der augenblicklichen Situation allerdings die Mehrwertsteueranhebung rückgängig zu machen, wäre falsch. Denn trotz der Mehreinnahmen prangt in den Bundeshaushalten der nächsten Jahre ein Loch von regelmäßig 20 Milliarden Euro. Ganz zu schweigen von den Milliardenlöchern in den Kassen der 16 Länder und in denen der Gemeinden. Fazit: Wir – die Nutznießer staatlicher Ausgaben – leben gewaltig über unsere Verhältnisse. Und zwar wir alle, die Empfänger von Renten, die Nutzer von Straßen, Sicherheitsbehörden, Verwaltungen. Hat jemand wirklich ernst zu nehmende – und, was noch wichtiger ist: mehrheitsfähige – Vorschläge vernommen, wie die lotterigen Verhältnisse im deutschen Finanzierungssaldo ausgeglichen werden sollen? Ganz im Gegenteil: Kaum sorgt die Konjunktur dieser Tage für Mehreinnahmen in den Staatskassen, werden allerorten „dringend gebotene“ Ausgabenvorschläge unterbreitet.

Statt ernsthaft in eine Debatte darüber einzutreten, wofür die Deutschen in Zukunft staatliches Geld ausgeben und wie sie das auf Dauer solide finanzieren wollen. Der Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung ist im Grunde nur einer dieser Ausgabenvorschläge. Zugegeben: Es ist der populärste.

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