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In welche Richtung geht's? Die Berliner SPD befindet sich derzeit in einem Umfragetief.

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Nachfolge Wowereit: SPD in Berlin muss runter vom Mars

Dilek Kolat, Jan Stöß, Raed Saleh - die Sozialdemokraten haben zwar Talente, aber keinen geeigneten Kandidaten für die Nachfolge von Klaus Wowereit. Das Nachwuchsproblem ist aber nicht nur ein SPD-Problem.

Welch ein Armutszeugnis: Seit mehr als 25 Jahren regieren Berlins Sozialdemokraten ununterbrochen mit – und tun sich dennoch schwer, einen vorzeigbaren Kandidaten für die Nachfolge des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit zu präsentieren. Es scheint, als habe die Partei die Zeit vertan, mit langem Atem Nachfolger aufzubauen. Talentierte Köpfe gibt es: Dilek Kolat, Jan Stöß oder Raed Saleh. Überzeugend aber kann keiner von ihnen bei den Berlinern punkten. Und der, der im Beliebtheitsranking weit oben steht, hat keine Chance. Der von der SPD berufene parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum ist bei den Genossen weithin unbeliebt. Manchen in der SPD beunruhigt der Gedanke, dass sie 2016 nur mit dem zweitbesten Kandidaten antreten könnte und deswegen als Regierungspartei abtreten muss.

Keinen Nachwuchs zu haben, obwohl man lange regiert hat, das gab es auch in Hamburg. Dort war die SPD erst nach einer Zwangspause in der Opposition in der Lage, mit Olaf Scholz wieder einen vorzeigbaren Spitzenmann aufzustellen. Führungskräfte tragen zu selten dazu bei, starke Nachfolger zu fördern. Der lange als möglicher Wowereit-Nachfolger geltende Michael Müller hielt ihm zwar den Rücken frei, führte Partei und Fraktion; die Zweifel aber blieben, ob er ein guter Senatschef wäre.

Nicht nur ein SPD-Problem

Es könnte freilich sein, dass das nicht allein ein SPD-Phänomen ist. Es gibt ein generelles Dilemma der Bürgergesellschaft. Zwar sind immer mehr Menschen bereit, sich sozial und ehrenamtlich zu engagieren, nur die Parteien profitieren davon nicht. Welcher junge Mensch setzt freiwillig seinen Fuß über die Schwelle eines Ortsvereins? Daran wird kaum etwas ändern, dass Berlins Parlamentarier seit kurzem Geld für Bürgerbüros erhalten, um näher bei den Wählern zu sein. Unter streitlustigen alten Männern zwischen trockenen Antragsdebatten und Kassenwarts-Langeweile seine Lebenszeit zu verschwenden, schreckt die meisten jungen Menschen. Sie wollen die Welt verändern, möglichst verbessern, doch der basisnahe Politikbetrieb, so lernen sie rasch, ist lebensfeindlich wie der Mars.

Zwar halten die Berliner Parteien ihre Mitgliederzahlen, doch Talente mit Führungsstärke und Ausdauer sind immer seltener. Das geht nicht nur Parteien so. Der Paritätische Wohlfahrtsverband stellte fest, dass viele Menschen anpacken, aber kaum noch Vorstandsposten besetzen wollen: Zu viel Stress, zu viel Kleinkram und Vereinsgedöns. Mitmachen: ja, anführen: nein. Im Wettbewerb der klügsten Köpfe sind andere Felder attraktiver als die politische Ochsentour. Wer machtbewusst, durchsetzungsfähig und kommunikativ ist, wer Managementfähigkeiten und strategischen Weitblick hat, der findet lohnendere Angebote. Genau solche Leute aber fehlen nicht nur der Berliner SPD, auch bei CDU und Grünen sind Talente rar.

Nachwuchskräfte brauchen Freiraum

Parteien, die mitregieren, haben viele Möglichkeiten, Nachwuchskräfte Erfahrungen sammeln zu lassen. Offenbar aber wird künftiges Führungspersonal im Alltag schon verschlissen, bevor es oben ankommt. Übrig bleiben angepasste, kantenfreie Funktionäre, die keinen Wähler inspirieren. Neue Köpfe brauchen aber Zeit, um ihr Potenzial zu offenbaren und Mut für neue Ideen zu entwickeln. Olaf Scholz in Hamburg, der mit seiner Metropolen-Strategie heute zu den Hoffnungsträgern der Bundes-SPD zählt, galt früher als übler Langweiler. Auch Klaus Wowereit war ein unbekannter Haushälter, ehe er Fraktionschef wurde. Noch sind zwei Jahre bis zur Wahl: Mal sehen, wie ernst die SPD Berlin nimmt.

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