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Nachterstedt: Unbekannte Tiefe

Ereignisse wie das Unglück von Nachterstedt sind keine Naturkatastrophen, die ohne unser Zutun über uns hereinbrechen. Sie zeigen, wie wenig wir über unseren Untergrund wissen.

Vier Tage sind inzwischen vergangen, seit bei Nachterstedt im Harzvorland ein 350 Meter langes Uferstück des Concordia-Sees abrutschte und drei Menschen samt Haus und Straße mit sich in die Tiefe riss. Die Suche nach Überlebenden ist eingestellt worden, es gibt keine Hoffnung mehr für sie.

Weiterhin unklar ist, was genau die Katastrophe hervorgerufen hat. Ein starker Regenguss vielleicht, oder der steigende Wasserpegel in dem ehemaligen Tagebau, möglicherweise auch einstürzende Stollen, die von Kohlegräbern vor Jahrzehnten in den Berg getrieben wurden. Die Fülle der Möglichkeiten zeigt: Wir wissen oft nur wenig über das, was unter unseren Füßen liegt und damit auch Basis unseres Lebens ist. Andernfalls hätte man in Nachterstedt Vorsorge treffen können und müssen; oder im Ruhrgebiet, wo sich infolge einstürzender Stollen immer wieder Krater auftun und Gebäude in Abgründen verschwinden; oder in Basel, wo eine Erdwärmebohrung im Dezember 2006 ein Beben auslöste.

Das Besondere an diesen Ereignissen ist, dass sie keine Naturkatastrophen sind, die ohne unser Zutun über uns hereinbrechen und denen wir zwangsweise ausgeliefert sind. Ihre Ursache sind vielmehr wir selbst, indem wir auf der Suche nach Rohstoffen und Energie in die Tiefe drängen und das natürliche Gefüge durcheinander bringen. Wenn der Mensch daran beteiligt ist, sollte er daher nicht in der Lage sein, ähnliche Unglücksfälle zu vermeiden?

Zumeist gelingt das, sonst würde man viel häufiger von solchen Ereignissen hören. Mit Beton- und Stahlröhren, die tief in Sand und Fels getrieben werden, vollbringen Bauingenieure wahre Meisterleistungen. Voraussetzung dafür ist aber – neben einem teils irrsinnigem Materialaufwand – die genaue Kenntnis des Untergrundes. Und die ist immer beschränkt.

Anders als etwa ein Bauteil eines Motors, das im Prüflabor von allen Seiten analysiert werden kann, müssen Geoforscher anhand von wenigen Bohrungen abschätzen, wie mehrere Kubikkilometer große Teile der Erdkruste aufgebaut sind und welche Eigenschaften die teils chaotische Mischung unterschiedlicher Gesteine hat. Eine hundertprozentige Sicherheit für das Leben auf der Oberfläche kann es darum gar nicht geben.

Allerdings lässt sich das Risiko minimieren, wenn es detaillierte Erkundungen gibt oder im Fall ehemaliger Bergbaureviere eine langfristige Überwachung eingerichtet wird. Das ist teuer, aber nötig. Gerade hier in Deutschland wird der Platz, den der Braunkohleabbau beansprucht, gebraucht. Die Bergbauwüsten müssen daher wieder bewohnbar gemacht werden.

In Zukunft wird die genaue Erforschung der Erdschichten noch dringlicher werden: Mit Erdwärmeprojekten, künstlich angelegten Gasspeichern und möglicherweise massenhafter Deponierung von Kohlendioxid dürfte es in manchen Regionen nämlich bald vorbei sein mit der unterirdischen Ruhe. Je intensiver der Untergrund genutzt wird, umso größer ist die Verantwortung dafür, dass oben alles ruhig bleibt.

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