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Meinung: Nahost: Die Drei-Stunden-Zäsur

Gestern Mittag, um ein Uhr israelischer Zeit, hätte Rahavam Seewi gar kein Minister mehr sein sollen. Doch drei Stunden bevor sein Rücktritt aus dem Kabinett Scharon wirksam geworden wäre, war der Tourismus-Minister tot.

Gestern Mittag, um ein Uhr israelischer Zeit, hätte Rahavam Seewi gar kein Minister mehr sein sollen. Doch drei Stunden bevor sein Rücktritt aus dem Kabinett Scharon wirksam geworden wäre, war der Tourismus-Minister tot. Umgebracht von palästinensischen Terroristen - noch im Dienst gewissermaßen. Jene drei Stunden markieren eine Zäsur im israelisch-palästinensischen Konflikt: Noch nie wurde ein israelischer Minister Opfer palästinensischer Anschläge. Premierminister Scharon hat schon angekündigt, das "nichts mehr so sein wird, wie es war". Eine neue Epoche sei angebrochen. Und eines scheint klar: Die Israelis werden zurückschlagen - massiv.

Seewi war einer der rechtesten Politiker Israels. Seit 1987 propagierte er zur Lösung des Nahostkonflikts den "Transfer" aller Araber aus Israel und den besetzten Gebieten in andere arabische Länder. Sein Rücktritt war eine Konsequenz aus Scharons kompromissbereiterem Kurs der letzten Tage. Insbesondere hat Seewi die Entscheidung des Premiers verärgert, die Armee aus kürzlich eroberten Stellungen in Hebron - eingenommen zum Schutz der dortigen Siedler - zurückzuziehen.

Seewis Tod wird unter Palästinensern niemand betrauern, auch wenn Arafats Autonomiebehörde die Ermordung verurteilte. Zu hasserfüllt, zu herabwürdigend waren seine Äußerungen über die Palästinenser. Aber auch wenn mit Seewi ein erklärter Feind des Friedensprozesses ermordet wurde - mehr als mit diesem Anschlag konnte die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die sich zum Anschlag bekannte, den Interessen der Palästinenser gar nicht schaden.

Die Ermordung wird eingehen in die Geschichte der tragischen Irrtümer und riesigen Dummheiten, der verpassten oder ungenutzten Chancen, von denen die palästinensische Nationalbewegung mehr vorzuweisen hat als irgendeine andere Befreiungsbewegung: Eben noch hatten sich die USA zurückgemeldet im Nahen Osten, Scharon schlug ob des amerikanischen Drucks rethorisch um sich, verglich die Isolierung Israels nach dem 11. September mit der Preisgabe der Tschechoslowakei an Hitler im Jahr 1938 - und musste am Ende doch Zugeständnisse machen. Zum ersten Mal sprach er sogar von einem Palästinenserstaat, am Tag des Attentats hätten Erleichterungen für die Bevölkerung in Ramallah in Kraft treten sollen - vorbei. Nun wird Scharon nicht nur zurückschlagen, jetzt hat er auch noch einen Grund, sich gegen amerikanischen Druck zu wehren. Einen besseren Vorwand hätten die Terroristen Scharon nicht liefern können.

Der israelische Regierungschef hat Arafat persönlich für den Tod Seewis verantwortlich gemacht. Das ist zwar übertrieben, trifft aber den Kern des Problems: Zwar hat Arafat in den letzten zwei Wochen viel getan, um extremistische Gewalt zu verhindern. Doch eingesperrt hat er niemanden - die von Israel gesuchten Terrorplaner laufen weiter frei herum. Doch was für Amerika gilt, muss auch für Israel gelten: Wenn die Autonomiebehörde nichts gegen die Hintermänner des Terrors unternimmt, muss Israel zum Selbstschutz greifen - eine Alternative wäre nur, die staatliche Aufsicht über die von der Autonomiebehörde verwalteten Gebiete wieder zu übernehmen. Und das will niemand.

Kein Staat kann es sich erlauben, nach solch einem Anschlag die Hände einfach in den Schoß zu legen und den nächsten Schlag abzuwarten. Die Politik der Liquidierung von Terrorplanern ist zwar juristisch kaum zu rechtfertigen - aber in manchen Fällen das kleinere Übel. Nach der Ermordung Seewis werden wir bitter-froh sein, wenn Scharon es bei der Liquidierung von Terroristen belässt und nicht die Armee in die besetzten Gebiete schickt.

Im Bemühen, eine große Koalition gegen den "großen" Terror zu schmieden, haben die USA, hat Europa den "kleinen" Terror in Israel etwas aus den Augen verloren. Keine Frage, Arafat hat die Situation in den letzten Wochen beruhigt. Aber das wird in Zukunft nicht mehr reichen: So lange er die Terroristen-Liste der Israelis ignoriert, wird der Befriedungsprozess nicht voran kommen.

Jetzt gilt es zunächst, Scharon von zu drastischen Maßnahmen abzuhalten. Gleichzeitig sollte der CIA die Liste der von Israel gesuchten Terroristen überprüfen. Sind die Beweise der Israelis stichhaltig, muss Arafat die Drahtzieher des Terrors hinter Gitter bringen. Oder er hat in der Anti-Terror-Koalition nichts mehr verloren.

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