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Meinung: Nahost-Krise: Wo kein Wille ist

Im Nahen Osten ist alles ein bisschen anders. Auch das Geschäft mit Optionsscheinen.

Im Nahen Osten ist alles ein bisschen anders. Auch das Geschäft mit Optionsscheinen. An westlichen Börsen sind Optionsscheine Wetten auf die Zukunft. Man kauft sich das Recht, Aktien zu einem bestimmten Kurs am 20. Januar zu erwerben, in der Hoffnung, dass ihr Wert bis dahin noch höher gestiegen ist. Am Ende hat der Käufer oder der Verkäufer ein gutes Geschäft gemacht - je nachdem, wer besser spekuliert. Beide müssen sich jedenfalls festlegen.

Im Nahen Osten besteht das Geschäft darin, die Optionsscheine nur vorzuzeigen - ohne sich festzulegen. Um dann dem Gegenüber vorzuwerfen, er habe sich nicht gebunden. Doch gelingt es Verkäufer und Käufer immer wieder, den Eindruck zu erwecken, sie hätten etwas getan und nicht nur etwas angedeutet. Jubeln deshalb so viele über Arafats bedingtes Ja zu Clintons Friedensplan? Der Palästinenserführer hat die Bedingungen so geschickt gewählt, dass er sich nicht bindet. Er konnte sich darauf verlassen, dass die Arabische Liga nicht auf das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge verzichtet. Und hat nicht Israels Premier Barak kurz zuvor auch sein Ja so verklausuliert, dass es eigentlich ein Nein ist? Niemals will er die Souveränität über den Tempelberg ganz an die Palästinenser geben.

Israel und der Westen sagen den Palästinensern: Noch nie habt ihr ein so tolles Angebot für einen Friedensvertrag auf dem Tisch gehabt. Also greift zu! Legt Euch fest! Denn sonst lauft Ihr ein doppeltes Risiko.

Erstens im Bezug auf Amerika. Wenn Clinton aus dem Amt scheidet, ist die Chance weg. Dann muss sich die neue US-Administration einarbeiten. Und bis die einen Chefunterhändler benennt und bis der Vertrauen zu Israelis und Palästinensern aufbaut, vergeht Zeit. Clinton hat sich den Ruf als fairer Makler erworben - aber was spricht dafür, dass der Republikaner Bush den demokratischen Vorgänger weiter mit der Vermittlung betraut? (Auf solche Kontinuität richten sich gleichwohl im Nahost-, und auch im Nordirland-Konflikt Hoffnungen.)

Und zweitens in Bezug auf Israel, wo am 6. Februar gewählt wird. Nur Ehud Barak, so beschwört alle Welt Arafat, mache Frieden zu so günstigen Konditionen. Verpassen die Palästinenser die Chance, verliert Barak die Wahl - und was ist dann von Ariel Scharon, dem Falken, zu erwarten?

Was die Friedens-Advokaten nicht dazu sagen: Wenn Arafat die Option kauft, sich festlegt, zu Clintons Bedingungen Frieden zu schließen, kann der schöne Schein am 6. Februar dennoch wertlos sein: Weil Scharon die Wahl zum Regierungschef gewinnt. Oder weil Barak zwar dank der Wahlhilfe durch Friedensvertrag im Amt bleiben kann, aber es mit einer Knesset-Mehrheit zu tun hat, die den Vertrag nicht ratifiziert.

Für Barak sieht der Optionsscheinhandel nicht viel günstiger aus. Klar, ein Abkommen mit Arafat würde ihm im Prinzip nutzen. Wenn er jedoch weitere Zugeständnisse macht, um es zu erreichen, steigen zwar die Friedenschancen, aber zugleich sinken seine Wahlaussichten, weil desto weniger ihn wählen, je höher der Preis für den Frieden wird. Vor allem einen Erfolg aber braucht er rasch: das Ende des Terrors gegen israelische Bürger. Doch erstens scheint Arafat die Fortsetzung der Intifada für ein gutes Druckmittel zu halten. Und zweitens lehrt die Erfahrung, dass der Terror zunahm und auch die Attentatsgefahr für Israels Führer wuchs, je näher der Frieden rückte.

Warum also sich festlegen, wenn das nur dazu führt, dass Optionen verloren gehen und die Risiken wachsen? Nein, in die Friedensaussichten möchte derzeit kaum einer investieren. Das zeigt auch ein anderes Phänomen. Die meiste Energie wird bereits auf Schuldzuweisungen verwandt - und kaum noch auf die kreative Suche nach neuen Kompromissen, fantasievollen Lösungen.

Solange es nur um Gebietsaufteilungen ging, waren Kompromisse möglich. Jetzt aber geht es ums Heilige: für Israel um den Tempelberg, für die Palästinenser um das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge - wohlgemerkt, nicht in ihren künftigen Staat, sondern in die heute israelischen Heimatorte ihrer Familie. Heilig, heilig, heilig sei dieses Recht von 3,7 Millionen - das entspricht zwei Dritteln der Einwohner Israels -, betonte gestern die Arabische Liga.

Wenn außer mit Optionsscheinen auch noch mit Heiligenscheinen hantiert wird, bewegt sich gar nichts mehr. Geht es dem Nahen Osten noch nicht schlecht genug?

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