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Meinung: „Natürlich darf geschossen werden“

Ganz am Ende der fulminanten RAF-Revue „Ulrike Maria Stuart“ von Elfriede Jelinek, die heute das Theatertreffen in Berlin eröffnet, sitzt der Regisseur Nicolas Stemann auf der Bühne, ein Textblatt in der Hand, eine blonde Zopfperücke auf dem Kopf. Stemann spielt Jelinek, die Ulrike Meinhof spielt – das ist typisch für seine stets mehrfach ironisch gebrochenen Inszenierungen, die schwindelfrei mit einer Handvoll Bedeutungsebenen auf einmal zu jonglieren verstehen.

Ganz am Ende der fulminanten RAF-Revue „Ulrike Maria Stuart“ von Elfriede Jelinek, die heute das Theatertreffen in Berlin eröffnet, sitzt der Regisseur Nicolas Stemann auf der Bühne, ein Textblatt in der Hand, eine blonde Zopfperücke auf dem Kopf. Stemann spielt Jelinek, die Ulrike Meinhof spielt – das ist typisch für seine stets mehrfach ironisch gebrochenen Inszenierungen, die schwindelfrei mit einer Handvoll Bedeutungsebenen auf einmal zu jonglieren verstehen.

Die Geister der RAF-Vergangenheit, die Jelinek in ihrem (nicht veröffentlichten) Text als Wiedergängerinnen von Schillers Königinnen auftreten lässt, jagt Stemann durch ein groteskes, mythenverhangenes Altenstammheim – der Spuk hört nie auf. Noch bevor die Debatte um die RAF neuerlich losbrach, hatte Stemann schon den ultimativen Kommentar dazu geliefert. Auch das ist typisch für sein blitzgescheites Reflex- und Reflexionstheater.

Nicolas Stemann, Jahrgang 1968, gebürtiger Hamburger und Absolvent des Wiener Max-Reinhardt-Seminars, zählt zu einer Generation von Regisseuren, die sich nicht mit Vorbildkomplexen und Vatermordgedanken plagen, sondern ihren eigenen Theater-Weg gehen – und denen die Gegenwart alle Inspiration liefert, die sie für ihre Bühnenfantasien benötigen. Etiketten lässt er sich dabei nicht anheften – Versuche gab es, von Popästhet bis Philosoph, aber Stemann war den Zuschreibungen immer einen Schritt voraus.

Es darf getrost als Glücksfall gelten, dass er bei seiner Suche nach zeitgenössischen Stoffen, die mehr sind als verdauliche, gut gemachte Stücke, auf Elfriede Jelinek gestoßen ist. Obwohl er die stacheligen Sprachgebilde der österreichischen Nobelpreisträgerin ursprünglich nie inszenieren wollte, ist er heute deren maßgeblicher Exeget. Zurzeit probt er seinen vierten Jelinek-Abend. „Du kannst mich auch verarschen“, forderte sie ihn beim ersten Treffen auf. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sein Ringen mit Jelineks Texten beschreibt Stemann gern in – ironisch gefederten – Kampf- und Kriegs- Metaphern. Den Meinhof-Satz „Natürlich darf geschossen werden!“, schleuderte er ihr mal in einer vor Hassliebe strotzenden Hommage zurück. Doch gewinnen lässt er die Dichterin. Er begegnet ihren Werken, wie er auch einem Schiller- Drama begegnet: ohne Ehrfurcht, aber nicht respektlos.

Die Theaterzumutungen der Jelinek befeuern seine Bühnenenergie wie nichts sonst – der Kampf geht weiter.

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