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Deutschland soll Führung zeigen, will aber auch geliebt werden. Beides ist schwierig - auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© Reuters

Neue Rolle: Zaudernde Führungsmacht Deutschland

Deutschland will nicht als Hegemon auftreten, aber von der größten europäischen Volkswirtschaft wird Führungsstärke verlangt. Doch die Bundesrepublik will nicht nur respektiert, sondern auch geliebt werden. Aber Führung schützt nicht vor Kritik.

Über Führung spricht man nicht. Führung übt man aus – und sie ist am erfolgreichsten, wenn das geräuschlos gelingt. Heißt das im Umkehrschluss: Weil die Sicherheitskonferenz in München kontrovers über Deutschlands Rolle in der Eurokrise diskutiert, ist ein deutscher Führungsanspruch zum Scheitern verurteilt? Nein. Führung funktioniert, wenn der nötige Einfluss vorhanden ist, der potenzielle Führer diese Rolle ausfüllen möchte und die Betroffenen bereit sind, sie anzuerkennen.

Führung bedeutet nicht die Macht, die Eigeninteressen ohne Rücksicht auf die Partner durchzusetzen. Das sieht man an Russland und China in der Syrienfrage. Sie können ihr Veto im UN-Sicherheitsrat missbrauchen. Aber sie untergraben damit ihren Führungsanspruch. Tawakkul Karman, die Friedensnobelpreisträgerin 2011 aus dem Jemen, urteilte in München, Russland und China hätten damit jede Sympathie in der muslimischen Welt auf lange Zeit verspielt. Führung verlangt die Fähigkeit, einen Kurs vorzugeben, den die Partner unterstützen, weil er auch ihren Interessen nützt.

Deutschland 2012 steht für den historisch ungewöhnlichen Fall, dass die potenzielle Führungsmacht sich nicht an die Spitze drängt, sondern zaudert, ob und wie sie die erwartete Rolle ausüben soll. Deutschland hat seine Geschichte im Blick und möchte nicht als rücksichtsloser Hegemon auftreten. Das ist sympathisch, vor allem ist es richtig. Die Kehrseite: Deutschland möchte nicht nur respektiert, sondern auch noch geliebt werden. Manche träumen, Deutschland könne eine große Schweiz sein, die sich aus Konflikten heraushält, hier und da vermittelt und ansonsten die Neutralität für gute Geschäfte nutzt. Das wirkt ein bisschen unrealistisch. Größe und Lage der Bundesrepublik erlauben das nicht. Wer führt, kann nie alle zugleich glücklich machen. Er muss Kompromisse durchsetzen, also jedem Partner Abstriche von seinen Zielen abhandeln und Abstriche von den eigenen hinnehmen.

In der Eurokrise fällt Deutschland die Führungsrolle zu, weil es die mit Abstand größte Volkswirtschaft und zugleich die einzige gesunde unter den großen im Euroraum ist. Sein Anteil ist jedoch nicht so dominant, dass es anderen seine Wünsche – alle sollen sich gesundsparen – aufzwingen kann. Das Exportland lebt im Übrigen davon, dass die anderen genug Geld haben, um deutsche Waren zu kaufen. Ein überzogener Sparkurs in anderen Euroländern untergräbt über kurz oder lang die deutsche Stärke, die im Idealfall die ganze Eurozone retten soll.

Für die hoch verschuldeten Partner und die USA wäre es die einfachste Lösung, wenn die Deutschen eine Gemeinschaftshaftung für alle Staatsschulden in der Eurozone zulassen. Das würde die Märkte beruhigen und die Spekulation beenden. Dann könnte man in Ruhe Sanierungspläne ausarbeiten. Für die Bundesregierung ist dies aus zwei Gründen nicht attraktiv. Sie will den Druck gar nicht so schnell von den Schuldenstaaten nehmen. Er ist der beste Hebel, damit sie über Reformen und Sanierung nicht nur reden, sondern es auch tun. Zweitens würde ein solcher Blankoscheck Risiken für die deutschen Steuerzahler bedeuten.

Führungskunst heißt hier also, die richtige Mischung aus den beiden gegenläufigen Eigeninteressen – sanieren, ohne kaputtzusparen – sowie den berechtigten Eigeninteressen der Partner zu finden. Die paradoxe Rollenverteilung in München: Nicht die Ex-Kriegsgegner beriefen sich auf das Argument, die Geschichte beschränke Deutschlands Führungsfähigkeit. Das taten Deutsche, deshalb klang es wie eine Ausrede. Der Pole Radek Sikorski und der Brite Timothy Garton Ash machten den Deutschen Mut: Ihr seid heute ein normales Land. Übernehmt die Verantwortung, die eurem Gewicht entspricht! Thomas de Maizière widersprach. Normalität sei noch nicht erreicht.

Wenn Berlin die erbetene Führung ausübe, folge Kritik, manchmal mit hässlichen Verweisen auf den Krieg. Da lachten Briten und Amerikaner. Auch wenn ein Führungsanspruch allgemein anerkannt wird, bietet das keinen Schutz gegen Kritik. Selbst ein gutwilliger und rücksichtsvoller Anführer wird kritisiert. Das ist normal, gewöhnt euch dran!

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