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Papst Franziskus predigt von Liebe und Barmherzigkeit.

© dpa

Neue Töne braucht der Glaube: Deutsche Katholiken und ein Jahr Papst

Die katholische Kirche wirkt oft wie ein Verein von Buchhaltern, die den Menschen ihre Sünden und Fehler vorrechnen, auf das Minus im Himmelskonto hinweisen und nur selten auf das Plus. Doch seit einem Jahr steht Franziskus an der Spitze dieser Kirche und hört nicht auf, das Plus zu betonen.

Er predigt von Liebe und Barmherzigkeit und macht vor, was er unter einem christlichen Leben versteht: intensiv leben und exzessiv lieben.

Franziskus hat nirgendwo erklärt, dass die Sexualmoral der Kirche nicht mehr gilt oder der Katechismus außer Kraft gesetzt ist. Künstliche Befruchtung findet dieser Papst genauso schlimm wie aktive Sterbehilfe oder Sex vor der Ehe. Und doch hat sich viel verändert. Weil sich der Ton verändert hat. Franziskus hat die alten Kampflinien verlassen, er stellt keine kleinteiligen Regelungen in den Mittelpunkt, sondern das Große und Ganze des Lebens mit seinen Aufbrüchen und Abbrüchen, mit dem, was gelingt, und mit dem, was scheitert und ungerecht ist. „Alle Tugenden stehen im Dienst der Liebe“, schreibt er. Tugenden und Regeln seien dazu da, auf Gottes Liebe zu antworten, „indem man ihn in den anderen erkennt und aus sich selbst herausgeht, um das Wohl aller zu suchen“.

Am heutigen Mittwoch wählen die deutschen Bischöfe aus ihrer Runde einen neuen Vorsitzenden. Vielleicht wird es einer aus dem konservativen Lager, vielleicht einer von den Liberaleren. Viel wichtiger wird sein, ob auch er einen neuen Ton anzuschlagen vermag. So wie Robert Zollitsch in seiner letzten Predigt als scheidender Vorsitzender. Er sprach mit einer neuen Sensibilität, sprach von Zweifeln und Suche und davon, sich als Kirche auf die Menschen einzulassen und die Besserwisserei zu begraben. Wie befreit schien Zollitsch, sprach mit fester Stimme und ohne die Anspannung, die ihn sechs Jahre lang begleitet hatte.

Es geht nicht darum, den eigenen Standpunkt aufzugeben. Es geht darum, für die Weisheiten und Wahrheiten der Kirche eine neue Sprache zu finden, einen neuen Ton, der emphatisch und empathisch zugleich ist. Es ist nicht damit getan, den Bergoglio- Stil zu kopieren. Wer Menschen mit echter Empathie ansprechen will, muss sich wie Franziskus für sie interessieren und vielleicht noch mehr: sie lieben. Das klingt einfach und ist furchtbar schwer. Das wissen viele Bischöfe, auch die deutschen. Aber das sollte der Anspruch sein. Und wer es versucht, wird die Menschen faszinieren. Er wird gehört werden.

Claudia Keller

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