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Meinung: Neue US-Regierung: Der Geist Reagans

Der Präsident steht vor dem Weißen Haus und redet in ein Mikrophon. "Fest in die Kamera schauen", sagt George W.

Der Präsident steht vor dem Weißen Haus und redet in ein Mikrophon. "Fest in die Kamera schauen", sagt George W. Bush, "und dann mit ruhiger, aber sicherer Stimme den Satz sprechen: China muss diese Krise beenden." Neben Bush steht Vizepräsident Cheney und flüstert Außenminister Powell zu: "Verdammt, ich habe ihm doch eingebläut, dass er den ersten Teil des Textes beim Vorlesen weglassen soll."

Die Karikatur erschien vor wenigen Tagen in einer großen amerikanischen Zeitung. Bush wird darin als ferngesteuerter Depp dargestellt. Ein anderer Karikaturist zeichnet den Texaner als zynischen Fiesling, der mit blitzblank lackierten Cowboystiefeln über den Globus stampft und allen Menschen ein Stahl-Fähnchen um die Ohren haut. Darauf sind die Worte "mitfühlender Konservatismus" eingraviert.

In Wahrheit ist Bush weder blöd noch gemein. Allerdings hat sich die Beurteilung des US-Präsidenten überraschend schnell gewandelt. Vor der Wahl hieß es, Bush und Al Gore seien Langweiler, ihre politischen Unterschiede gering. Nach Amtsantritt wurde Bush für seine effiziente Regierungsbildung gelobt sowie für die Besetzung der Ministerposten. Dann lief er ein paar Wochen lang herum und umarmte die Opposition - Stichwort: Charme-Offensive. Einen neuen, versöhnlichen Ton werde er anschlagen, versprach er. Nach nur elf Wochen bröckelt die Fassade. Pötzlich wird die ganze Welt gewahr, dass in Amerika nicht nur ein Personen-, sondern auch ein Regierungswechsel stattgefunden hat.

Den Beginn einer konservativen Revolution zu diagnostizieren, wäre zu früh. Aber die Zeichen, die in diese Richtung deuten, häufen sich. Mehr noch als seinem Vater eifert Bush der Linie von Ronald Reagan nach. Das heißt, die Wirtschaft genießt absolute Priorität, soziale oder ökologische Fragen sind zweitrangig. In der Außenpolitik wiederum herrschen klare Freund-Feind-Muster vor, bilaterale Beziehungen werden wichtiger genommen als multilaterale Verträge. In Amerika gilt Reagan heute als einer der besten Präsidenten, die das Land je hatte.

Außerhalb Amerikas wird das anders gesehen. Selbst engen Verbündeten weht inzwischen ein kälterer Wind um die Nase. Die Art, wie sich Bush über Nacht von der Bekämpfung der Klimakatastrophe verabschiedete, hat die Europäer schockiert. Durch seine Selbstgefälligkeit fühlen sie sich verhöhnt. Auch in anderen Regionen wird sein Verhalten als rücksichtslos wahrgenommen. Die Verhandlungen mit Nordkorea? Abgebrochen. Das Verhältnis zu Russland? Eingefroren. Die Spannungen im Nahen Osten? Für unzuständig erklärt.

Dabei mag sich Bushs Außenpolitik in der Substanz von derjenigen seines Vorgängers gar nicht so gravierend unterscheiden - der Kyoto-Vertrag etwa wäre auch unter Clinton kaum ratifiziert worden. Aber die Atmosphäre hat sich geändert. Skepsis und Besorgnis breiten sich aus. Man vertraut Bush nicht, weil man ihm zu vieles zutraut. Wenn er lächelnd über die Bombardierung des Irak spricht oder über die Ausweisung russischer Diplomaten, dann irritiert weniger der Inhalt seiner Sätze als der Gestus, mit dem er sie vorträgt. Bush brüskiert die Verbündeten. Viele haben den Eindruck, dass er sich seiner Verantwortung noch zu wenig bewusst ist.

In der Krise mit China musste Bush nun zum ersten Mal Lehrgeld für seine Großspurigkeit zahlen. Vollmundig hatte er sich zunächst die Inspektion des notgelandeten Flugzeuges verbeten, dann wurde er konzilianter. Der provozierenden Sturheit, die Peking zeigte, hatte er nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Die China-Lektion wird Bush vielleicht etwas nachdenklicher stimmen.

Denn auch zu Hause wird er langsam vom hohen Ross gezerrt. Die Opposition stutzt sein Steuerentlastungspaket zurecht, und sein alter Rivale John McCain ist auf dem besten Wege, ihm ein neues Parteispendengesetz aufzuzwingen. Über die Ziele des neuen US-Präsidenten besteht kein Zweifel mehr: Bush will ein Konservativer sein, wie Reagan es war. Dass sich die Welt seit dessen Regierungszeit gewandelt hat, kümmert den Nachnachnachfolger kaum. Allerdings sind seinen Ambitionen Grenzen gesetzt, im Inland wie im Ausland. Außerdem: Sogar ein amerikanischer Präsident darf aus Erfahrung klüger werden.

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