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Josef Schuster

© dpa

Neuer Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland: Josef Schuster: Integrator oder Watschenmann?

Josef Schuster wurde am Sonntag zum neuen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt. Er muss sich nicht stressen, der Gesellschaft dauernd die Leviten zu lesen. Gebraucht wird er dennoch. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Thomas Lackmann

Ein Traumjob – wie Papst oder SPD-Boss, laut Müntefering – ist der Vorsitz für den Zentralrat der Juden in Deutschland nicht. Dieser Amtsträger soll gut 100 000 Glaubensgenossen und deren auseinanderdriftende Einheitsgemeinden irgendwie zusammenhalten, während manche Nichtjuden von ihm moralische Autorität erwarten, andere aber insgeheim genervt sind von Einlassungen solcher Art. Als Vertreter „der Juden“ und auch „Israels“, wie Träger dieses Amtes aufgrund ihrer Loyalität mit dem Judenstaat mitunter wahrgenommen wurden, ist der Vorsitzende nebenbei ein jüdischer Watschenmann für die verdruckst philosemitische Berliner Republik. Das Gewicht seiner Position lässt sich durch die Zahl der Mitglieder, für die er spricht, nicht erklären. Die politische Wucht des Amtes resultiert aus der Vorgeschichte des Verbandes und seiner Vorläuferin, aus der historischen Bedeutung der Juden für Deutschlands Geschichte; gewissermaßen sogar aus der imaginären Zahl jener Menschen, die ein Zentralratsvorsitzender heute zu vertreten hätte, wären sie nicht ermordet worden.

Diesen Nimbus hat er nie angestrebt

Der scheidende Amtsträger Dieter Graumann war 1950, im Jahr der deutschen Zentralratsgründung, als Sohn deutscher Emigranten in Israel geboren worden. Dass er im November 2014 nach vier Jahren seine Aufgabe, die politisch, moralisch und historisch so kompliziert aufgeladen erscheint, zugunsten seines strapazierten Privatlebens quittiert, lässt sich nachvollziehen. Jener Respekt, mit Furcht vermischt, den die angesehensten unter seinen Vorgängern, Heinz Galinski und Ignatz Bubis, sich zu ihrer Zeit erwerben konnten, wurde Graumann – dem ersten Nachgeborenen aus der Post-Holocaust-Generation an der Zentralratsspitze – nicht entgegengebracht. Solch einen Nimbus hat der bescheidene, freundliche Mann wohl auch kaum angestrebt, selbst wenn manche nun danach rufen, sein Nachfolger möge bitte wieder mehr Autorität aufbauen.

"Doppelte Loyalität"

Es wird allerdings nicht einfacher, dieses Amt auszufüllen, das sich etwas komplexer darstellt als die Leitung irgendeiner ethnischen oder konfessionellen Community in Multikultiland. Vor gut 200 Jahren sprachen sogar Juden selbst in Deutschland von ihrer „jüdischen Nation“. Während ihnen als Minderheit im Laufe des 19. Jahrhunderts Patriotismus, Staatsbürgerschaft und gleiche Rechte zugebilligt wurden, verdächtigte man sie doch immer noch der „doppelten Loyalität“. Sind Juden, so sehr sie sich hie und da assimilieren mögen, nicht letztlich untergründig mit dem „Weltjudentum“ verbunden? Das würde heutzutage, weil solche Formulierungen zu den Argumenten der NS-Agitation gehören, hierzulande keiner offen sagen. Im ersten Jahr des „Dritten Reiches“ hatte sich der Vorgängerverband des heutigen Zentralrats als „Reichsvertretung der Deutschen Juden“ gegründet; zur Vollstreckung rassistischer Selektion wurde das 1935 abgeändert in „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“. Als die Nachkriegsorganisation, der Zentralrat der Juden in Deutschland, einen Namen bekam, blieb der Unterschied des „in“ bestehen – obgleich es mittlerweile wieder möglich erscheint, fast so selbstverständlich wie vor 1933 von „deutschen Juden“ zu reden.

Aber die Unterstellung „doppelter Loyalität“ kehrt beim Thema der Solidarität mit Israel zurück. Kontrovers bleiben auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft wichtige Fragen und Antworten: Versteht man sich als Religions-, als Kultur- oder als Erinnerungsgemeinde? Und wie sind beispielsweise in Berlin die Interessen der deutsch geborenen Juden, der russischstämmigen und der säkularen Berliner Israelis, die mit Einheitsgemeinde nichts am Hut haben, unter einen Hut zu kriegen?

Kann er das nach Feierabend wuppen?

Zentralratsvize Josef Schuster, Jahrgang 1954, kandidierte für Graumanns Posten. Er ist wie jener ein deutscher Jude, als Kind fränkischer Emigranten in Haifa geboren, 1956 mit den Eltern nach Deutschland zurückgekehrt: seit 2002 Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, seit 2006 Träger des Bundesverdienstkreuzes „für seinen engagierten Beitrag zum fruchtbaren Dialog der Religionen und Förderung des jüdischen Lebens in Bayern“. Schuster ist Internist und will seine Würzburger Praxis, auch nach der Wahl ins Ehrenamt, weiterführen. Das könnte man so verstehen, als wolle da einer die Bedeutung des moralischen Mandats à la Galinski/Bubis ganz tief hängen: zur Beschwörung neuer Normalität. Tatsächlich braucht der neue Präses erst mal keinen Staatsvertrag aushandeln, das hat Graumann geschafft; er muss sich auch nicht stressen, der Gesellschaft dauernd die Leviten zu lesen. Aber zumindest als Integrator für zerstrittene Gemeinden, als Pionier für den unaufschiebbaren Dialog der Juden und Christen mit Deutschlands Muslimen wird er gebraucht. Ob das nach Feierabend zu wuppen ist?

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