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Neues Museum: Vollendet unvollendet

Das Neue Museum konfrontiert uns wie in einem Zeittunnel mit der bitteren Realität von 1945ff., mit Kriegszerstörung und Verwahrlosung. Inmitten der grandiosen Museumsinsel bewahrt der Bau das Gedächtnis, ohne das keine Geschichte fruchtbar sein kann.

Als die Gerüste fielen, war die Irritation groß. Die Fassade des Neuen Museums, jenes 1855 vollendeten zweiten Gebäudes auf dem zur Museumsinsel umgewidmeten Spree-Eiland, zeigt sich teils in überliefertem Schmuck, teils als blanker Ziegelrohbau. Wie groß ist erst der Schock, der sich beim Betreten des Gebäudes einstellt, und der wohl der Mehrzahl der Besucher an diesem Wochenende widerfahren wird! Das gigantische Treppenhaus erweist sich buchstäblich als leere Hülle. Marmorgesprenkelter Weißzement leitet die Schritte hinauf, doch an den Seiten dräuen nackte Ziegelwände. Erst in der Fülle der einzelnen Säle, mal säulengetragen, mal von Gusseisen gestützt, teils überkuppelt und teils flach gewölbt, bisweilen kahl, doch vielfach von Resten der ursprünglichen Dekoration geschmückt, findet das Auge Halt. Und beginnt das Staunen über die Vielfalt der Möglichkeiten, die der Architekt, der Engländer David Chipperfield, und ganze Heerscharen von Restauratoren an dieser Kriegsruine erprobt haben.

Denn das war das Neue Museum 60 Jahre lang. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Schäden zu umfangreich, als dass die DDR die Mittel aufbringen konnte. Das Neue Museum fiel aus der Zeit. Es wurde zum Denkmal seiner selbst – unberührt von allen Modernisierungen und pragmatischen Umbauten, denen die anderen Häuser auf der Museumsinsel unterlagen, als sie nach und nach wieder in Benutzung genommen wurden. Aus diesem sich selbst überlassenen Verfall des einst so gefeierten Gebäudes erwuchs das Konzept, den historischen Bestand zu erhalten, wie er sich Anfang der neunziger Jahre, als der Wiederaufbau eingeleitet wurde, nun einmal darbot. Nicht aus irgendeinem Wunsch, Kriegswunden demonstrativ herauszustellen, sondern um der historischen Vielschichtigkeit willen verbot sich, was gemeinhin unter Restaurierung verstanden wird: die Wiederherstellung eines Idealzustandes, wie er allenfalls zur Eröffnung eines Bauwerks bestanden haben mag.

Eine solche Restaurierung ist auf der Museumsinsel anderenorts zu besichtigen, bei der Alten Nationalgalerie mit ihrem verschwenderischen Prunk. Oder beim Stilgemisch des Bode-Museums, das von strenger Romanik bis zu friderizianischem Rokoko reicht – schon zur Bauzeit historisches Zitat, ein Als-ob, das der neu geschaffene Glanz von 2006 wiederholt. Das Neue Museum indessen konfrontiert uns wie in einem Zeittunnel mit der bitteren Realität von 1945ff., mit Kriegszerstörung und Verwahrlosung. Inmitten der grandiosen Museumsinsel bewahrt der Bau, wie er sich nunmehr darbietet, das Gedächtnis, ohne das keine Geschichte fruchtbar sein kann. In dieser Gestalt – vollendet unvollendet, gebrochene Synthese, artifizielles Zusammenspiel der Vergangenheit mit dem Zeitgeist – bildet dieser Schlüsselbau der Museumsinsel einen sperrigen, notwendigen Teil in jenem Prozess, der die Stadtmitte Berlins in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten wiedererweckt hat.

Wenn bis zum Oktober, in dem das Haus endgültig eröffnet wird, die noch fehlenden Ausstellungsstücke aufgestellt werden, darf die Architektur, die jetzt so karg und bestürzend wirkt, in die dienende Rolle der baulichen Hülle zurücktreten. Für Objekte, die ihrerseits Geschichte verkörpern. Welchem Konzept sich die Kuppel verdankt, die dann das Haupt der Nofretete überwölbt, wird sich gewiss nicht jeder Besucher fragen. Wer es aber tut, wird den Gang der deutschen Geschichte erkennen, in ihren Abgründen wie in deren Überwindung.

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