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Nicholas Goldberg: "Ich würde auch Osama bin Laden drucken"

Nicholas Goldberg leitet die Meinungsseiten der "Los Angeles Times". Im Interview spricht er über Grenzen des Journalismus und der Meinungsfreiheit.

Sie sind für die Meinungsseiten der „Los Angeles Times“ verantwortlich, einer der größten und wichtigsten Zeitungen in den USA. Wie würden Sie diese Aufgabe beschreiben?

Auf der „editorial page“ veröffentlichen wir die Ansichten der Zeitung – Artikel ohne Autorenzeile, die, wie wir hoffen, intelligent, ausgewogen, vernünftig und überzeugend sind. Auf unserer „Op-ed page“ versuchen wir dagegen, ein breites Spektrum an Meinungen zu unterschiedlichen Themen von Außenstehenden abzudrucken – von Experten, Politikern, normalen Einwohnern von Kalifornien, von Hochschullehrern, Schriftstellern und von Menschen, die selbst Teil einer Nachricht sind.

Sie sind ein säkularer Jude aus New York und drucken Gastbeiträge von Mitgliedern der Hamas. Wie regieren die Leser darauf?

Wir haben mehrfach Artikel von höheren Hamas-Kadern abgedruckt. Genau wir wir Beiträge von israelischen Siedlern ins Blatt nehmen, die erklären, warum sie in der Westbank leben wollen. Wir haben auch Edward Said abgedruckt, kurz vor seinem Tod, und Alan Dershowitz und Natan Scharansky. Ich wäre dagegen, Hamas-Vertretern regelmäßig Platz einzuräumen, aber sie haben ihre Argumente, und es tut den Amerikanern gut, diese zur Kenntnis zu nehmen. Das heißt nicht, dass ich mit den Hamas-Führern, die für uns schreiben, übereinstimme, oder dass das die Meinung der „Los Angeles Times“ wäre. Wir verurteilen auf unserer „editorial page“ immer wieder den Terrorismus. Ja, ich bin ein säkularer Jude und hege keine Sympathien für jemanden, der israelische Zivilisten umbringen will. Die Reaktionen sind gemischt. Einige Leser meinten, wir hätten eine Grenze überschritten, Israel „delegitimiert“ und Terroristen eine Plattform gegeben. Andere lobten uns dafür, die Debatte erweitert zu haben.

Wo ziehen Sie die Grenze? Würden Sie Osama bin Laden abdrucken?

Wenn er uns einen Gastbeitrag zusenden würde, würden wir ihn sehr wahrscheinlich drucken. Es wäre für Amerikaner interessant zu lesen, was er zu sagen hat. Auch wenn sie dadurch in ihrer totalen Ablehnung bestätigt werden. Manche Dinge sind natürlich so anstößig, falsch oder rassistisch, dass wir uns weigern, sie abzudrucken. Wir haben Standards und halten es nicht für notwendig, uns in Debatten über Themen einzumischen, die bereits abgeschlossen sind, wie etwa die Leugnung des Holocaust. Allgemein gilt für uns: Wir versuchen eher zu viel als zu wenig zu veröffentlichen.

Haben Sie nicht das Gefühl, so den Gegnern von Demokratie und westlichen Werten ein Forum zu bieten?

Vielleicht in manchen Fällen. Wir versuchen jedoch, verantwortungsvoll vorzugehen, nicht allein zu provozieren oder eine Reaktion hervorzurufen. Aber es ist die Aufgabe einer Zeitung, die Meinungsfreiheit zu unterstützen, Menschen Raum für ihre Argumente zu bieten und den Lesern das größtmögliche Angebot an Meinungen zu bieten.

In Deutschland ist es verboten, bestimmte Dinge zu sagen oder zu drucken – zum Beispiel den Holocaust zu leugnen. Ist das aus Ihrer Sicht richtig, vielleicht sogar ein Vorbild für die USA?

Deutschland hat seine eigene Geschichte, die erklärt, warum es Gesetze hat, die es in den USA nie geben würde. Dort darf „Mein Kampf“ veröffentlicht werden, und Demonstranten dürfen mit Hakenkreuzen herumlaufen. Ich würde nicht wagen, den Deutschen zu empfehlen, ihre Gesetze zu ändern. Allerdings glaube ich nicht, dass Gesetze, die das Aussprechen bestimmter Ansichten verbieten, besonders erfolgreich sind. Das Verbannen von „Mein Kampf“ aus den deutschen Buchhandlungen wird das Gedankengut der Neonazis nicht vertreiben. In den meisten Fällen ist es wohl wirkungsvoller, anstößige Ideen zu ignorieren statt sie zu verbieten.

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