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Meinung: Nichts begriffen

Von Bernhard Schulz

Bemerkenswert lange hielt Lea Rosh still. Mit eiserner Selbstdisziplin vermied sie es zuletzt, den Bauvorgang des von ihr vor 17 Jahren angeschobenen HolocaustMahnmals durch unbedachte Äußerungen zu begleiten. Und nun das. Bei der Eröffnungsfeier am Dienstag, einer der würdigsten Veranstaltungen des vereinten Deutschlands überhaupt, präsentierte sie einen von ihr im Vernichtungslager Belzec gefundenen menschlichen Zahn und den gelben Stern einer ermordeten Jüdin mit der Ankündigung, diesen beiden Objekten in einer der 2711 Stelen des Mahnmals dauerhaften, sie sagte „würdigen“, Platz verschaffen zu wollen.

Dass das Vorhaben, wie Lea Rosh betonte, mit dem Architekten Peter Eisenman abgesprochen sei, macht die Sache keinen Deut besser. Die Reaktion darauf kann nur so entschieden ausfallen, wie sie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin formuliert hat. Das Mahnmal, so Albert Meyer, dürfe „kein Friedhof oder Reliquienschrein“ werden. Was hat Lea Rosh von dem bewusst von allen Erinnerungssymbolen oder gar -objekten abstrahierenden Eisenman-Entwurf verstanden, dass sie auf solch eine abstruse Idee verfallen konnte? Und, schlimmer noch: Was hat sie von den Bildern im Bewusstsein, in denen sich der Horror des Nazi-Völkermords für uns Nachgeborene verdichtet?

Der Schrecken des quasi-industriellen Massenmordes vergegenständlicht sich in den erschütternden Bildern von Brillenhaufen, Schuhhaufen, Haufen menschlichen Haares, die die KZ-Mörder zusammenkehren ließen, als Ausdruck ihrer vollständigen Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern. Und nun sollen Zahn und Judenstern im Berliner Mahnmal eingelassen werden, als handele es sich um anbetungswürdige mittelalterliche Reliquien?

Das Stelenfeld ist kein authentischer Ort der Verbrechen. Es ist der Versuch – so Bundestagspräsident Thierse –, eine Form zu finden, die der „Monstrosität der NS-Verbrechen irgend angemessen sein könnte“. Zwischen Denkmal und Tatort liegen Welten, begrifflich wie emotional. Der Versuch, diesen Unterschied in einem pseudoreligiösen Akt zu überspringen, ist fürchterlich.

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