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Meinung: Nie wieder knusprig? Bei Acrylamid funktioniert der Verbraucherschutz – fast

Der neueste Lebensmittelskandal ist etwa 360 000 Jahre alt. Der krebserregende und erbgutverändernde Stoff Acrylamid entsteht beim Braten, Backen oder Frittieren.

Der neueste Lebensmittelskandal ist etwa 360 000 Jahre alt. Der krebserregende und erbgutverändernde Stoff Acrylamid entsteht beim Braten, Backen oder Frittieren. Die Chemikalie steckt in hohen Konzentrationen in Kartoffelchips, Pommes Frites, Kaffeepulver, Knäckebrot oder Frühstücksflocken. Genau genommen ist Acrylamid in Lebensmitteln auch kein richtiger Skandal. Denn diesmal geht es nicht darum, dass die böse Lebensmittelindustrie aus reiner Geldgier versucht, die Verbraucher zu vergiften. Acrylamid entsteht auch dann, wenn man sich zu Hause Kartoffeln in die Pfanne wirft.

Und noch etwas ist anders, als bei gewöhnlichen Lebensmittelskandalen: Es brauchte nicht erst den geballten Zorn der Verbraucher, um das Problem ernst zu nehmen. Im April gelang es schwedischen Forschern erstmals, die schädliche Chemikalie nachzuweisen. Schon im Juni begann das Stuttgarter Landwirtschaftsministerium Untersuchungskapazitäten zum Nachweis von Acrylamid aufzubauen, und seit August arbeiten Bund und Länder gemeinsam an einer Minimierungsstrategie. Mit Erfolg. Einige Chips- und Knäckebrothersteller haben begonnen, ihre Produktionsverfahren umzustellen und sind bereits mit weniger acrylamidhaltigen Erzeugnissen auf dem Markt. Je tiefer die Temperatur, je weniger gebräunt, desto weniger Acrylamid steckt in den Chips.

Die Verbraucher können den Stoff meiden, um ihr persönliches Krebsrisiko zu senken. Allerdings weiß niemand genau, wie hoch das Risiko ist. Denn auch wenn Acrylamid in Tierversuchen Krebs erregend wirkt, ist noch umstritten, ob das auch für den Menschen gilt. Aber zum ersten Mal haben Politik und Wirtschaft sich entschieden, mit dem Handeln nicht zu warten, bis sie ganz sicher sind, dass der Stoff gefährlich ist. Acrylamid ist also ein gelungenes Beispiel – das erste – für vorsorgenden Verbraucherschutz. Mit einem Schönheitsfehler: Die Verbraucher können nicht wissen, welche Produkte besonders hohe Acrylamidwerte aufweisen. Ein Verbraucherinformationsgesetz, das den Ministerien die Nennung von Namen erlauben würde, hat die Union in der vergangenen Legislaturperiode verhindert. Ohne dieses Wissen ist es für Verbraucher aber schwer, Acrylamid zu meiden. Oder sich für krosse braune Pommes zu entscheiden und das Krebsrisiko einfach zu ignorieren.

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