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Meinung: Noch nicht reif für eine Insel

Bei dem Referendum steht mehr als nur die Wiedervereinigung Zyperns auf dem Spiel

Die UN und ihr Generalsekretär Annan gehen auf Zypern einen riskanten Weg. Zuerst haben sie die Verfassung für einen neuen Bundesstaat auf der Insel ausgearbeitet, dann haben sie vergeblich versucht, die Vertreter von griechischen und türkischen Zyprioten auf diesen Plan einzuschwören – und jetzt legen sie die Verfassung über die Köpfe der Politiker hinweg direkt dem Volk vor. Schon ist auf der griechischen Seite, die laut Annans Plan besonders viele Konzessionen machen muss, von Erpressung die Rede.

Doch nicht nur die UN könnte auf Zypern zum Verlierer werden. Annan betonte nach Abschluss der Gespräche in der Schweiz, es solle nicht von Gewinnern und Verlierern gesprochen werde, sondern von einem Plan, der beiden Seiten Vorteile bringe. Doch Verhandlungsverlauf und Inhalt des UN-Plans sprechen eine andere Sprache. Die Türkei und die türkischen Zyprer sind mit dem Plan deshalb einverstanden, weil die Eigenständigkeit des türkischen Bundeslandes im geplanten neuen Staat gestärkt und die Rechte der griechischen Mehrheit auf der Insel eingeschränkt werden. Dagegen müssen sich die Griechen damit abfinden, dass viele Flüchtlinge des Teilungsjahres 1974 nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren dürfen.

Ziel der türkischen Regierung ist es, ihre EU-Bewerbung durch eine neue Flexibilität in der Zypernfrage zu stärken: Niemand soll hinterher sagen können, dass die Wiedervereinigung an der türkischen Seite gescheitert sei, so lautet die Richtschnur Ankaras. Zum Glück für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurden die türkischen Zyprer bei den Gesprächen in der Schweiz nicht von Volksgruppenführer Rauf Denktasch vertreten, der mit seiner kompromisslosen Haltung und polternden Art der eigenen Seite eher geschadet als genutzt hätte, sondern von dem proeuropäischen Regierungschef Mehmet Ali Talat. Im türkischen Nordteil der Insel beginnt jetzt ein Wahlkampf, bei dem Denktasch für ein Nein, Talat und Erdogan für ein Ja werben werden. Wegen der Europa-Sehnsucht besonders vieler junger Wähler im türkischen Inselteil wird am Ende eher ein Ja stehen als ein Nein.

Doch Erdogans Interesse an einer Zustimmung im griechischen Sektor muss ebenso groß sein wie an einem Ja auf der türkischen Seite: Wenn am 1. Mai nur die griechische Republik Zypern in die EU aufgenommen wird, hat sie im Dezember bei der EU-Entscheidung über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ein Vetorecht. Nur mit einem vereinigten Zypern in der EU kann Erdogan sicher sein, dass es ein solches Veto nicht geben wird.

Insbesondere auf der griechischen Seite ist dabei noch viel zu tun. Drei von vier griechischen Zyprern waren schon vor den Verhandlungen in der Schweiz gegen den Annan-Plan, und die Tatsache, dass ihre Seite im Verlauf der Gespräche nicht immer mehr Forderungen durchsetzen konnte, sondern immer weniger, wird das Werben um eine Zustimmung zu dem Plan nicht einfacher machen.

Wenn die Wiedervereinigung Zyperns, über die am 24. April in einem Referendum abgestimmt wird, scheitert, haben alle verloren: Zypern selbst bleibt geteilt, alle Hoffnungen auf eine Überwindung der letzten Mauer in Europa sind zerstört. Die Türkei wird sich auf neue Probleme in ihrer eigenen EU-Bewerbung einstellen müssen. Die EU wird ebenfalls mit neuen Problemen zu kämpfen haben, denn sie importiert mit dem neuen Mitglied Zypern einen schwelenden Konflikt.

Freuen könnte sich dagegen Rauf Denktasch, dem eine Zwei-Staaten-Lösung schon immer lieber war als die Wiedervereinigung mit den Griechen: Wenn die griechische Bevölkerung bei der Volksabstimmung mit Nein stimmt, würde sie ihrem Erzfeind Denktasch den größten Erfolg seines Lebens bescheren. Am 24. April wird auf Zypern über weit mehr entschieden als nur über das Schicksal einer kleinen Insel.

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