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NSA-Affäre: Untote leben länger

Der NSA-Skandal war keiner, aber er zwingt trotzdem zum Handeln.

Von Robert Birnbaum

Mit Affären, schon gar wenn sie in der Welt der Geheimdienste spielen, ist es wie mit den aus Film und Buch sattsam bekannten Zombies: Richtig zu Ende geht es mit ihnen nie. Der NSA-Abhörskandal ist auf dem besten Wege, diese Regel zu bestätigen. Er hat sich in seinem deutschen Kern als Gespenst entpuppt: Nicht der US-Geheimdienst hat massenhaft in Deutschland deutsche Bürger abgehört, sondern der deutsche Geheimdienst ausländische Bürger in Afghanistan und anderswo.

Die Regierung verbürgt sich dafür, dass es so war. Die Opposition widerspricht, aber sichtlich ohne Überzeugung und mit nurmehr fadenscheinigen Gründen. Der Untote ist unter der Erde, aber er soll doch bitte gerne noch etwas rumoren, damit vielleicht bis zum 22. September manche von der Beerdigung nichts merken. Eine Fehleinschätzung gibt halt keiner gerne zu, eine wahlkämpfende Opposition erst recht nicht.

Dabei müssten sie sich alle gar nicht groß schämen. Im Ton hat sich mancher verstiegen. Aber in der Sache waren es ja nicht nur SPD, Grüne und Linke nebst der flugs als Opposition maskierten FDP, es war auch Angela Merkels Regierung, die den Amerikanern den Einbruch in deutsche Datennetzwerke durchaus zutraute. Dass die SPD da einen Wahlkampfhit witterte, kann man ihr im Nachhinein so wenig vorwerfen wie der Regierung, dass sie nichts über einen Angriff auf ihre Bürger wusste, der gar nicht stattgefunden hat.

Trotzdem stehen jetzt irgendwie alle bedröppelt da. Vielleicht bremst das ja wenigstens beim nächsten Skandal den Eifer, stets den Größten Anzunehmenden Verdacht in die Welt zu setzen, statt Skepsis in jede Richtung zu üben.

Wichtiger wäre es allerdings, nach der Beisetzung des einen Untoten darauf zu achten, dass Seinesgleichen nicht anderswo ihr Unwesen treiben. Edward Snowdens Dokumente mögen nicht immer das zeigen, was sie zu zeigen scheinen – Fälschungen sind sie nicht. Sonst würde Barack Obama nicht in Washington Glasnost ausrufen und Berlin zudem den Abschluss eines „No-Spy-Abkommens“ anbieten.

So beruhigend es also für eine Bundesregierung ist zu wissen, dass ihre Bürger nicht unter ihren Augen ausgespäht werden, so wenig hilft das diesen Bürgern, wenn sie fürchten müssen, dass der Große Bruder dann eben hinter der Grenze fischt. In der globalen Welt der Netze bietet der nationale Rechtstaat nur noch im Wortsinn begrenzten Schutz. Ein Rückzug auf „sichere“ deutsche oder europäische Netzwerke widerspräche der inneren Logik einer Technik, deren Stärke gerade in der Öffnung der Tore zur Welt liegt.

Snowdens großes Verdienst ist es, die Gefahren aufzuzeigen, die hinter diesen Toren lauern, und sei es nur als Möglichkeit. Pflicht und Schuldigkeit der Politik ist es, diese Gefahren weltweit einzuhegen. Das mag schwierig sein wie immer bei globalen Fragen. Aber es ist zwingend nötig, sachlich wie politisch. Jeder hat ein Recht darauf, der mailt und smartphoned und googelt. Also praktisch jeder. Also jeder Wähler.

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