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Nicht alle dürfen rein in den Saal 101 am Münchner Oberlandesgericht, in dem am 17.4. der NSU-Prozess beginnen soll. Das Akkreditierungsverfahren droht zur Staatsaffäre zu werden.

© dpa

NSU-Prozess: Deutsche und Türken - Die Last der Vorurteile

Deutsche und Türken müssen aufeinander zugehen, gerade jetzt. Das ist Aufgabe von Gesellschaft, Politik, Staat und Medien. Es ist nicht der Auftrag eines Gerichts. Und doch könnte das Münchner Oberlandesgericht mehr tun.

Von Frank Jansen

In zwei Wochen beginnt der NSU-Prozess. Es ist eine langwierige Verhandlung zu erwarten, doch das Stresspotenzial wächst schon vorab. Um die Akkreditierung der türkischen Medien ist ein Streit entbrannt, der den Prozess wohl zusätzlich belasten wird. Türkische Journalisten, aber auch Diplomaten fühlen sich benachteiligt, weil sie keine reservierten Plätze für einen Prozess bekommen, in dem es um die grässlichste Serie von Verbrechen an Türken in der Geschichte der Bundesrepublik geht: acht Morde und einen Bombenanschlag mit mehr als 20 Verletzten. Die Empörung mancher türkischer Medien und Politiker klingt, als sähen sie eine Staatsaffäre, eine Störung der türkisch-deutschen Beziehungen. Das ist bedenklich. Es wächst die Gefahr, dass das mit Komplikationen behaftete Zusammenleben von Deutschen und Türken durch den Prozess noch erschwert wird.

Die Kritik an der rigiden Platzvergabe des Oberlandesgerichts München ist aber nicht nur mit dem Ärger türkischer Journalisten und Politiker zu erklären. Türkischstämmige Menschen sehen sich in der Bundesrepublik einem alltäglichen Rassismus ausgesetzt. Das beginnt mit dem schiefen Blick der Kassiererin im Supermarkt auf die Kundin mit Kopftuch, setzt sich fort mit dem oft forsch-unfreundlichen Ton bei Ausländerbehörden, und es gipfelt in gewaltsamen Attacken. Seit der Wiedervereinigung starben bei rassistischen Angriffen 20 Menschen türkischer Herkunft, darunter fünf Kinder. „Mölln“, „Solingen“ und „NSU“ sind drei Begriffe für tödlichen Hass auf Türken, die in Deutschland leben. Beim Stichwort NSU kommt die bittere Lehre hinzu, dass der deutsche Staat den rassistischen Terror jahrelang nicht stoppen konnte. Das ist im kollektiven Gedächtnis der Türken gespeichert. Zusammen mit Erfahrungen, immer wieder diskriminiert zu werden.

Das alles hätten die Richter am Oberlandesgericht München bedenken können, als sie überlegten, wie die Öffentlichkeit den NSU-Prozess begleiten kann. Der Strafsenat hätte sich wohl kaum dem Verdacht ausgesetzt, politische Erwägungen über juristische Regeln zu stellen, hätte es frühzeitig ein transparentes Prozedere für die Anmeldung gegeben, für deutsche wie für nichtdeutsche Medien. Was jedoch geschah, war eine Zumutung. Das Gericht verknappte Informationen auf Häppchen, an die man nur mit viel Hartnäckigkeit herankam. An der es vielleicht türkischen Medien mangelte. Das mag angesichts der Bedeutung, die der NSU-Prozess für die Türkei hat, erstaunen. Daraus einen Vorwurf zu konstruieren, türkische Journalisten seien zu langsam, wäre gehässig.

Das deutsch-türkische Verhältnis leidet allerdings auch unter unsachlichen Äußerungen einiger türkischer Medien und Politiker. Nach dem Brand vom Samstag in einem auch von Türken bewohnten Haus in Köln behauptete der türkische Vizepremier Bekir Bozdag, die deutschen Behörden seien stets schnell mit der Beschwichtigung bei der Hand, es handle sich nicht um einen rechtsextremen Anschlag. Die Kölner Polizei hat jedoch nichts ausgeschlossen. Bei manchen Migranten wird dennoch hängen bleiben: Deutsche Beamte vertuschen. So trägt ein prominenter Politiker dazu bei, das seit dem NSU-Schock schon stark reduzierte Vertrauen der türkischstämmigen Bevölkerung in die Behörden weiter zu schwächen. Ähnlich unpassend wirkt, was im Leitartikel einer türkischen Zeitung stand: Die Sitzplatzvergabe des Münchner Gerichts zeuge von einer „schützenden Haltung gegenüber Rassisten“. Das ist diffamierender Unsinn, den aber mancher Leser glauben wird.

Deutsche und Türken müssen aufeinander zugehen, gerade jetzt. Das ist Aufgabe von Gesellschaft, Politik, Staat und Medien. Es ist nicht der Auftrag eines Gerichts – trotzdem könnten die Münchner Richter in den zwei Wochen bis zum Prozess noch prüfen, ob die Übertragung per Video in einen benachbarten Saal möglich ist. Und türkische Politiker und Medien sollten darauf verzichten, Ressentiments gegen den deutschen Rechtsstaat zu schüren.

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