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Die Angeklagte, mutmaßliche Rechtsterroristin, Beate Zschäpe im Gerichtssaal.

© dpa

NSU-Prozess in München: Politische Überhöhung einer rassistischen Mörderbande

Die abscheulichen Morde des NSU-Trios haben die mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Nun hat der Prozess um die NSU-Morde endlich begonnen und unser Kolumnist hofft, dass er dazu beiträgt, den Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen und die rassistischen Täter zu entmystifizieren.

Man muss es an diesem Tag, an dem die Medien nach allen Regeln ihres Gewerbes eine NSU-Show inszenieren, noch einmal in aller Deutlichkeit sagen. Noch hat kein Gericht die Schuld von Beate Zschäpe und ihrer vier Unterstützer festgestellt. Noch gelten die fünf Angeklagten im Münchener NSU-Prozess nach den Regeln der Justiz als unschuldig, noch ist Beate Zschäpe keine Mörderin, sondern allenfalls eine mutmaßliche Mörderin. Schließlich gilt die Unschuldsvermutung im Strafprozess zu den Grundpfeilern der Demokratie. Egal, wie abscheulich die Taten waren, egal, wie viele Liveticker und wie viele Übertragungswagen aus aller Welt den Prozessauftakt begleiten.

Die Öffentlichkeit wird Geduld haben müssen. Bis die mehr als 600 Zeugen gehört wurden und bis ein Urteil gefällt werden kann, wird es Monate oder gar Jahre dauern. Und nach allem, was aus den Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gedrungen ist, wird es gar nicht so einfach werden, der 38jährigen Hauptangeklagten neben den toten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eine Mittäterschaft an den zehn NSU-Morden nachzuweisen. Zumindest, solange Beate Zschäpe schweigt und auch das ist ihr verbrieftes Recht.

Trotzdem ist es gut, dass es dreizehn Jahre nach dem ersten NSU-Mord und anderthalb Jahre nach der Aufdeckung der rassistischen Mordserie endlich losgeht. Gut, dass der Fall endlich nach den nüchternen Regeln der Strafjustiz aufgerollt wird. Gut, dass die Richter, die Staatsanwälte und die Nebenkläger nicht nur die Frage nach der Schuld der Angeklagten, sondern auch die Frage nach der Verantwortung des Staates und seiner Sicherheitsbehörden stellen werden. Die Posse um Journalistenplätze war schließlich hochnotpeinlich und die politische Überhöhung einer rassistischen Mörderbande sowie die Ikonisierung der Hauptangeklagten sind kaum noch auszuhalten.

Was ist in den letzten Wochen und Monaten nicht alles über Beate Zschäpe geschrieben worden. In allen Einzelheiten wurde das Leben der „Nazi-Braut“ im Untergrund nacherzählt, einschließlich biederer Campingurlaube und feuchtfröhlicher Grillabende. Vergleiche mit Deutschlands Top-Terroristinnen wie Ulrike Meinhof oder Brigitte Mohnhaupt wurden gezogen und die NSU als gefährlicher gebrandmarkt als die RAF. Zudem ist das Schwarz-Weiß-Bild von Zschäpe mit den zotteligen Haaren und der randlosen Brille in der Öffentlichkeit mittlerweile so präsent wie eine neonazistische Pop-Ikone. 

Perfide waren die Morde und die Motive offenkundig rassistisch. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe haben sich vor der Polizei versteckt, sie haben Banken überfallen, um ihr Leben im Untergrund zu finanzieren und sie haben laut Anlageschrift insgesamt neun Immigranten und eine Polizistin erschossen. Die Taten sind die abscheulich, woher sich der Hass speiste, lässt sich kaum nachvollziehen. Darüber hinaus sind Ermittlungspannen ein Skandal, die Rolle des Verfassungsschutzes wird immer dubioser, je länger die Ermittlungen andauern. Viele Fragen rund um die Mörderbande sind weiterhin unbeantwortet.

An der Einschätzung jedoch, dass es sich bei den NSU-Mördern ursprünglich überhaupt um Terroristen handelte, lässt sich zweifeln. Schließlich geht es beim Terrorismus immer darum, die politische Ordnung herauszufordern sowie Angst und Schrecken zu verbreiten. Zum Terrorismus gehören der politisch kalkulierte Einsatz von Gewalt genauso wie die kühlberechnende Propaganda der Tat.

Bei den NSU-Morden entfaltete sich die ganze politische und terroristische Wucht der Taten jedoch erst, nachdem das Trio am 4. November aufflog. Offenbar wollten die Mörder im Verborgenen agieren. Sie mordeten kaltblütig, aber die Propaganda der Tat interessierte sie offenbar überhaupt nicht. Ihr Bekennervideo wurde erst verschickt, nachdem die Mitstreiter Böhnhardt und Mundlos tot waren. Den Rest erledigten anschließend die Medien und die Politik. Sie erst machten aus einer mutmaßlich rassistischen Mörderbande eine neonazistische terroristische Vereinigung. Seit anderthalb Jahren sind der NSU und ihre Taten in den Medien und der Politik dauerpräsent.

Der Druck auf die Richter und die Neigung zur Vorverurteilung sind gewaltig. Viele Journalisten sind davon überzeugt, dass das Urteil des Oberlandesgerichts München nur lebenslänglich lauten kann. Auch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, hält sich nicht lange mit der Beweisführung und der Wahrheitsfindung auf, sondern fragt stattdessen in einem Interview mit den Tagesthemen, „wann kommt es endlich mal zu der entscheidenden Phase: nämlich dem Schuldspruch und der Sühne?“

Jetzt sind die Gerichtstüren geschlossen, die Kameras aus, 50 Journalisten können live dabei sein. Vielleicht kann ja das Gerichtsverfahren unter dem Vorsitz des Richters Manfred Götzl, dem die gelegentlich hysterische Medienöffentlichkeit offenbar völlig egal ist, dazu beitragen die Taten aufzuklären, die Täter zu entmystifizieren und die politischen Überhöhung zu beenden. Auch den Opfern kann das Gericht am ehesten mit einem fairen Prozess, in dem Fragen gestellt und Fragen beantwortet werden, zu ihrem Recht zu verhelfen und nicht mit einem schnellen, bei dem das Urteil schon feststeht. Manfred Götzl eilt der Ruf voraus, ein Technokrat zu sein, der aber zugleich präzise arbeitet und sich in die Suche nach der Wahrheit regelrecht verbeißen kann. Das lässt für den Prozess hoffen. 

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