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Meinung: Nur in Deutschland wirken Würste Wunder

Pascale Hugues, Le Point

Bis vor wenigen Jahren war eine politische Karriere mit keinerlei Gefahr für Leib und Leben verbunden. Wer an die Macht wollte, musste nur eine einfache Übung absolvieren, um die Herzen der Wähler zu erobern: ein Bad in der Menge nehmen, ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen hochheben und umarmen, zum Lächeln bringen und zwei saftige väterliche Küsse auf den prallen Wangen platzieren … fertig. So haben es Pétain, Stalin und auch Hitler gemacht. Egal, ob sie Gräueltaten begangen, ihre Seele dem Teufel verkauft hatten: Das Gebaren eines guten Papas, der sich durch die Unschuld der Kinder entwaffnen lässt, entschuldigte alles.

Wenn man von Ursula von der Leyen einmal absieht, ist die Zeit vorbei, in der man mit einer zahlreichen Nachkommenschaft punkten kann. Vielleicht liegt es daran, dass „Familie, Arbeit, Vaterland“, das Gebot von Vichy, in schlechter Erinnerung ist. Vielleicht liegt es daran, dass ein Heer von Kinderpsychologen sich gegen die Verwendung von Kindern zu Propagandazecken erhoben hat. Vielleicht liegt es auch daran – und das ist in Deutschland mit seiner demografischen Dürre der Fall –, dass man in der Menschenmenge gar keine Kinder mehr findet, die man hochheben könnte.

Also haben sich die deutschen Politiker auf Würste verlegt. Erinnern Sie sich an Gerhard Schröder, der der Nation seine Liebe zur Currywurst enthüllte, die er an seiner Lieblingsimbissbude im Brioni-Anzug verzehrte? Erinnern Sie sich an Angela Merkel, die beherzt in eine Thüringer Bratwurst biss und sich dabei alle Mühe gab, dies mit der Würde ihres Amtes zu tun und ihre Bluse nicht zu bekleckern? Die Wurst birgt eine beruhigende Botschaft in sich, die den Deutschen gefällt: Ich bin volksnah. Ich stehe in Verbindung mit den Symbolen unserer Leitkultur. Ich liebe die einfachen und preiswerten Vergnügen. Ich habe mich nicht von den üppigen Banketten korrumpieren lassen. Ja, ich ziehe die Currywurst der Gänseleber vor (Kleine empörte Anmerkung der elsässischen Autorin dieser Kolumne: Ich übrigens nicht!).

Was die Kandidaten zur Präsidentschaftswahl in Frankreich angeht, so haben sie sich für die Tiere entschieden. Die Franzosen brauchen schon etwas mehr Glanz, um sich verführen zu lassen. Eine Lyoner Wurst würde da nicht genügen. Sie lieben Helden mit Muskeln. Nehmen Sie Nicolas Sarkozy, den Reiter unserer Nation. Nachdem er vorgeschlagen hat, das Problem der Integration ein für alle Mal zu lösen, indem er die Vorstädte mit dem Kärcher reinigt, ist er jetzt losgezogen, Frankreich zu retten. Das letzte Wahlkampffoto, das ihn am Vorabend der ersten Wahlrunde zeigt: Sarko in der Camargue hoch oben auf einem weißen Schlachtross. Die Zügel hält er mit einer Hand. Mit der anderen hält er das Handy. Er trägt Jeans und ein kariertes Hemd. Er lächelt. Er fühlt sich gut. Er hat vor nichts Angst. „Ah, welch kühne Haltung!“, seufzen all die Damen vom Périgord bis zur Bretagne.

Geben Sie es zu, das ist schon etwas anderes als Helmut Kohl mit seinen kurzärmeligen Hemden am Ufer des Wolfgangsees, der einem kleinen Lamm das Fläschchen gibt. Die Pferde in Deutschland wurden von ihm verschont. Zum Glück waren 1994 Stierkämpfe noch nicht in Mode, und Helmut Kohl ist nicht auf die fixe Idee gekommen, auf ein Pferd zu steigen, um ein paar Jahre länger an der Macht zu bleiben. Sarkozys Botschaft ist viriler Natur: Ich bin ein Mann, ein echter. Die anwesenden Journalisten, die auf einem Karren zusammengepfercht waren, um die Dressurnummer besser bewundern zu können, haben im Chor die Zorro-Melodie angestimmt. Eine Reaktion, die mich beruhigt – Journalisten lassen sich nicht für dumm verkaufen. Trotzdem erscheint eure Testosteron- Bombe Schröder neben unserem feurigen Cowboy wie ein Warmduscher. Übrigens ist es höchste Zeit, die Currywurststrategie zu überdenken: Stellen Sie sich vor, dass der nächste Kandidat fürs Kanzleramt Knuts Schnauze vor den Kameras streichelt. Absolute Mehrheit garantiert!

Aus dem Französischen übersetzt von Albrecht Meier.

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