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Meinung: Nur nicht resignieren

Nach Frankreichs Nein: Europa ist Sündenbock für die nationale Politik

Von HansDietrich Genscher Frankreich hat abgestimmt! Ob das Nein endgültig ist, hängt auch von dem Verhalten Europas ab. Natürlich ist das französische Nein ein Rückschlag, zu einer Katastrophe würde es nur, wenn Europa jetzt resigniert. Fest steht: Es gab bei den Wählern eine starke Grundstimmung, der Regierung eine Niederlage zu bereiten. Die Tatsache, dass eine Regierungsumbildung angekündigt wurde, zeigt, dass man an der Spitze des Staates die Lage erkannt hatte – wenn auch zu spät und auch in der Reaktion nur unvollkommen.

Gewiss hat auch eine Rolle gespielt, dass – und hier ist Frankreich keine Ausnahme – Europa immer wieder zum Sündenbock für Fehler der nationalen Politik gestempelt wird. „Die in Brüssel“, so als handele es sich um eine außereuropäische Macht, obwohl doch alles, was in Brüssel entschieden wird, nur mit Zustimmung der Mitgliedstaaten möglich ist und in wesentlichen Fragen des Europäischen Parlaments und obwohl die Verfassung die Stärkung der Rolle des Parlaments und übrigens auch der Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente und der Regionen vorsieht. Es zeigt sich hier die Weisheit unserer Verfassungsmütter und -väter, die erkannt hatten, dass Plebiszite sich nicht selten lösen vom Abstimmungsgegenstand, dass sie vielmehr ganz andere Fragen situationsbedingt mit einbeziehen.

Was muss jetzt geschehen? Sowohl der Europäische Rat wie das Europäische Parlament sind gefordert. In zwei Wochen hat der Europäische Rat wichtige finanzpolitische Entscheidungen zu treffen. Diese dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Entscheidungswille und Entscheidungskraft bei diesem Europäischen Rat können mehr als alle beschwörenden Worte unter Beweis stellen: Es geht voran mit Europa. Das ist auch ein wichtiges Signal an die Welt außerhalb Europas. Die Mitglieder des Europäischen Rates müssen erkennen, dass Handlungsfähigkeit und Perspektive Europas im Zeitalter der Globalisierung globale Bedeutung haben. Die für jeden mutigen politischen Schritt notwendige positive Emotionalität kann die Rolle Europas als „Global Player“ bewirken. Europa hat die Fehler der Vergangenheit, die Politik der Abgrenzung, das Streben nach Vorherrschaft, den blinden Glauben, dass alle internationalen Probleme militärisch lösbar seien, hinter sich gelassen. Längst ist eine neue Kultur des Zusammenlebens Realität, die sich auf die Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit der Völker stützt. An die Stelle des Rechts des Stärkeren setzt Europa die Autorität des Rechts und größere Verantwortung des Stärkeren und die Solidarität mit den Schwachen. Das muss auch für Europas Haltung bei der Schaffung einer neuen gerechten Weltordnung gelten.

Der Ratifizierungsprozess der Mitgliedstaaten in der EU muss weitergehen. Erst am Ende ist Bilanz zu ziehen, so wie es im Vertrag vorgesehen ist, wenn mindestens 20 Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Dann wird übrigens auch Frankreich die Möglichkeit haben, seine Entscheidung zu überdenken – auch mit der Chance eines neuen Referendums.

Deutschland als engster Partner Frankreichs sollte seine europäische Grundhaltung nicht nur verbal, sondern durch die Tat bekräftigen. Die Parteien des Deutschen Bundestages, die vorhersehbar auch die Parteien des nächsten Bundestages seien werden – wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung –, sollten jetzt klar machen, dass sie zu den schon getroffenen Entscheidungen des Europäischen Rates stehen und dass sie für die fälligen Finanzentscheidungen im Juni trotz Wahlkampfes eine gemeinsame Position haben.

Es liegt in Europas und auch in Deutschlands Interesse, dass sich bei dem europäischen Gipfel in zwei Wochen niemand unter Hinweis auf den deutschen Wahlkampf aus der eigenen Verantwortung stehlen kann. Die Bekräftigung der gemeinsamen Positionen der Führungen der im Bundestag vertretenen Parteien ist auch ein wichtiges Signal nach innen. Denn natürlich werden diejenigen bei uns Morgenluft wittern, über die die Geschichte mit der Einführung der europäischen Währung hinweggegangen ist. Das darf jetzt nicht anders sein.  

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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