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Obama und Israel: Ehekrise ohne Scheidung

Barack Obama und Benjamin Netanjahu streiten nicht nur heftiger als ohnehin üblich über den Siedlungsbau. Ihre Beziehung ist in einer ersten Krise. Obama wird mehr Druck auf Israel ausüben als seine Vorgänger.

Im Privaten haben sich die Menschen ein Gespür für den Unterschied bewahrt. Wer hört, ein Paar habe gestritten, wiegelt ab: Das kommt in den besten Familien vor. Heißt es aber, die Ehe sei in der Krise, weiß jeder um den Ernst der Lage. Im Verhältnis von Staaten werden die Worte Streit, Konflikt, Krise heute so inflationär und beliebig benutzt, dass sie kaum noch zur Differenzierung taugen.

Barack Obama und Benjamin Netanjahu streiten nicht nur heftiger als ohnehin üblich über den Siedlungsbau. Ihre Beziehung ist in einer ersten Krise. Und Obama lässt es die Welt wissen. Er steckt dahinter, wenn Außenministerin Hillary Clinton und andere enge Berater Netanjahus Verhalten als „Affront“ oder gar „Beleidigung“ bewerten. Es hat auch Gewicht, wenn das Weiße Haus betont, der umstrittene Bau von 1600 Wohnungen im arabischen Ostteil von Jerusalem beschädige das Verhältnis zu den USA – und nicht etwa nur den Friedensprozess.

Seit Obamas Amtsantritt ist die Frustration über den Nahen Osten gewachsen. Er macht sich keine Illusionen: Die Aussicht auf einen umfassenden Frieden in absehbarer Zeit ist minimal. In Israel hat er es mit einer rechten Koalitionsregierung zu tun, die in Teilen nicht friedenswillig ist, auf der palästinensischen Seite mit Machthabern, die nicht friedensfähig sind. Selbst wenn die Fatah im Westjordanland zum Kompromiss bereit wäre, würde sich die Hamas im Gazastreifen nicht gebunden fühlen. Obamas Ziel ist viel bescheidener. Er will einen Dialog eröffnen und am Leben halten – um darauf aufzubauen, wenn die Umstände besser werden. Er drängt alle Seiten zur Vertrauensbildung: Israel zum Siedlungsstopp, die Palästinenser zum Kampf gegen ihre Extremisten, die Araber zur Vermittlung zwischen Fatah und Hamas sowie zum Ende des Waffenschmuggels nach Gaza.

Sein Mix aus prinzipiellen Forderungen und flexiblem Pragmatismus hat Irritationen ausgelöst. Er verlangt einen Siedlungsstopp, macht ihn aber nicht zur Vorbedingung für Dialog. Denn das würde Gegnern einen Vorwand liefern, wie man Gespräche verhindert. Auf manche Beobachter wirkte das so, als sei Obama eingeknickt. Dabei hat er erreicht, dass Israel im Westjordanland kaum noch neue Siedlungen baut. Nicht aber in Jerusalem. Dort eskalierte nun der Streit – freilich mehr wegen des Zeitpunkts als wegen der Sache. Der neue Plan wurde bekannt, als Vizepräsident Biden Israel besuchte. Obama empfand das als Ohrfeige. Daher die scharfe Reaktion.

In Europa fragen nun viele: Warum zwingt er Netanjahu nicht? Er hätte doch Druckmittel: die Unterbrechung der Militär- und Finanzhilfe. Doch was würde es bringen, Israel zu drohen, während die Palästinenser nicht verhandlungsfähig sind? Die große Keule wird erst hervorgeholt, wenn eine Einigung nahe ist. Man darf die Macht des US-Präsidenten nicht überschätzen. Er kann fehlenden Friedenswillen nicht ersetzen. Erst wenn die Völker und ihre Regierungen den Ausgleich wollen, kann er ihnen vermittelnd über die letzten Hürden hinweghelfen.

Soweit ist der Friedensprozess noch nicht. Obama wird weiter drängen und mehr Druck auf Israel ausüben als seine Vorgänger. Die Scheidung dagegen, das übliche Ende einer Zerrüttung im Privaten, ist keine Option. Die große Mehrheit des christlichen Amerika hält Israel für einen unverzichtbaren Verbündeten. Eine vergleichbare emotionale Nähe zu arabischen Staaten gibt es nicht. Die ausbleibende Modernisierung dort ist für US-Bürger eine große Enttäuschung. Das weiß Obama. Netanjahu weiß das auch.

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