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Öffentlicher Dienst: Adipös ist nicht sexy

22,4 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringen Landesbedienstete nicht am Platz. Der öffentliche Dienst in Berlin ist personell offenbar noch zu gut besetzt.

Im Berliner öffentlichen Dienst fallen die letzten Tabus. Jetzt gibt die Verwaltung selbst bekannt, an wie vielen Tagen die Beschäftigten im Landesdienst fehlen. Die 110 000 Mitarbeiter der Verwaltungen verbringen 22,4 Prozent ihrer Arbeitszeit nicht am Platz. Mitarbeiter sind krank oder in den Ferien, auf Kur oder ein Kind ist krank und muss betreut werden oder jemand sitzt als Schöffe zu Gericht und gewinnt Einblicke in die Welt der Gewaltkriminalität. Dazu kommen Schutzzeiten für werdende Mütter und freie Tage für Wahlhelfer. Alles in allem 81,9 Kalendertage, pro Person versteht sich.

Wer daraus schließt, der Berliner Personalkörper sei noch immer ein wenig übergewichtig und adipös, der hat wohl recht. Zu den fast 82 Abwesenheitstagen kommen weitere Fehlzeiten, etwa wegen Fortbildungen oder für „Arbeitszeitausgleich“, alles in allem weitere 3,7 Prozent.

Mit solchen Statistiken deutet der Senat seinen Untergebenen an, dass es stellenmäßig weiter abwärts geht. 100 000 Mitarbeiter im Jahr 2013 – das ist ein Ziel, und angesichts von 81,9 Tagen Abwesenheit vom Arbeitsplatz wirkt es keineswegs brutal. Die vielen Abwesenheitstage zeigen vielmehr, wie reich diese Stadt und dieses Land noch immer sind, mit ihren gesetzlich geregelten Ansprüchen auf Kuren und Betreuungstage für fiebernde Kleinkinder.

Fast 44 Prozent der Abwesenheitstage werden mit dem Kurieren von Krankheiten und dem Kuren verbracht. Die einschlägigen Berichte der Krankenkassen sagen neuerdings, „die Finanzkrise“ zeige sich daran, dass immer mehr Menschen psychische Beschwerden hätten. In Berlin mit seiner besonders hohen Dichte von Psychologen und Therapeuten liegt seelisches Leid womöglich noch näher als auf dem Land.

Im Osten Deutschlands wiederum, wozu Berlin auch in Sachen Krankenstand gehört, bleiben die Leute öfter als im Westen der Arbeit fern. Es gibt seltsame Theorien für die ostdeutsche Neigung zum Kränkeln. In Berlin mit seiner Menschendichte sei der Alltag anstrengender, hieß es früher bei den Kassen. In Ostdeutschland mag eine postsozialistische Mentalität sich halten, die besagt, dass die Volkswirtschaft des einzelnen Mitarbeiters Unwohlsein verkraften werde.

Erstaunlich an der Statistik ist etwas anderes. So viel Abwesenheit hätte längst Anlass gegeben, um über innerbetriebliche Gesundheitsförderung nachzudenken. Es geht nicht um kollektive Liegestützen zum Dienstbeginn, obwohl die ihr Gutes hätten. Doch jeder private Arbeitgeber grübelt, wenn der Krankenstand bei ihm so deutlich über dem Durchschnitt liegt wie er es in Berlin tut. Zumal sich Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes mit ihrer ehernen Beschäftigungssicherheit nicht auf Existenzangst wegen der Krise herausreden können.

Die neue Ehrlichkeit in Sachen Fehltage hat ihr Gutes. Sie zeigt, dass in Sachen Verschlankung des öffentlichen Dienstes noch einiges geht. Auch wenn die verschlankten Mitarbeiter von übermorgen nicht mehr ganz so umfangreich fortgebildet sein sollten.

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