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Ökonomie: Mit Europa geht es besser

Europa hat es derzeit nicht leicht. Aber woher rührt eigentlich der Irrglaube, die Deutschen hätten es leichter ohne Europa? Die politische Überheblichkeit und strategische Kurzsichtigkeit wirkt nachgerade beunruhigend.

Natürlich stellt uns die Staats-Verschuldungskrise in Griechenland, Portugal, Spanien oder Irland vor enorme Herausforderungen. Doch wer könnte sich der Illusion hingeben, wenn man einen dieser Staaten, irgendeinem ökonomischen Textbuch folgend, in ordnungspolitisch korrekter Weise in den Bankrott gleiten ließe, seien wir auf angenehme Weise ein Problem los?

Da es schließlich nicht zuletzt deutsche Banken sind, die bei einem Forderungsausfall enorme Verluste verbuchen müssten, müssten unser Staat und wir Steuerzahler doch auch zur Kasse gebeten werden, um einen Zusammenbruch dann eben nicht eines Partnerlandes, sondern unseres eigenen Bankensystems zu verhindern. Dies alles ist kein Plädoyer für fortgesetzten ökonomischen Schlendrian, aber dafür, mit größtmöglicher und politisch den betroffenen Regierungen eben noch zumutbarer Disziplin diese Krise nach und nach zu bewältigen.

Die politische Überheblichkeit, ökonomische Rechthaberei und strategische Kurzsichtigkeit, mit der wir gerade in Deutschland beginnen, uns über die europäische Realität erhaben zu dünken, wirkt nachgerade beunruhigend. Wann zieht ein neuer Wilhelminismus herauf? Hatte man früher noch gewusst, mit dem Fortschritt der europäischen Einigung sei es wie mit dem Fahrradfahren: Wenn es nicht vorwärts gehe, falle man um – hatte Hans-Dietrich Genscher im Einigungsjahr noch Thomas Mann zitiert: „Wir wollten kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland“, so gilt es heute schon als schick, sich über die einprägsame Formel, es gebe keine Alternative zur europäischen Gemeinsamkeit, lustig zu machen: Das sei pure Ideologie.

Dies erinnert mich doch sehr an das Diktum Robert Gernhardts: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Wer so tut, als gäbe es eine Alternative, der soll dies nicht nur behaupten, sondern soll uns diese andere Möglichkeit so konkret wie möglich und mit allen mittel- wie langfristigen Konsequenzen realistisch darstellen.

Wir sind zwar das bevölkerungsreichste und ökonomisch gewichtigste Land Europas, sitzen aber seit jeher und für immer in einer prekären Mittellage. Zwar sind wir derzeit nur mit befreundeten und verbündeten Nachbarn umgeben, aber dies ändert nichts daran, dass sie uns – und zwar nicht nur aus geschichtlichen, sondern auch aus strukturellen Gründen – sehr sorgfältig beobachten. Die Europäische Gemeinschaft ist das einzige Mittel, die Komplexität dieser Lage und die Ungleichgewichte zwischen den europäischen Partnern auf dauerhafte Weise zu balancieren. Wenn wir uns selber einredeten, wir könnten auf eigene Rechnung besser kellnern, hätten wir sofort mit Misstrauen zu rechnen.

Schon die Vorstellung, wir könnten unseren massiven Exportüberschuss weltmeisterlich einstreichen, ohne Rücksicht auf die verzerrten Zahlungsbilanzen zu nehmen, müsste sich als politisch wie psychologisch schwerer Fehler erweisen. Ganz abgesehen davon, dass die Europäer in wenigen Jahrzehnten allenfalls noch 5 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, ist jeder Gedanke daran, einer der europäischen Staaten, und sei es der stärkste, könnte für sich allein weiterkommen, blanke Illusion.

Also wandeln wir nüchtern, aber entschlossen Winston Churchills berühmtes Diktum ab: Niemand behauptet, dass die europäische Union perfekt oder allwissend ist. Man hat gesagt, die europäische Union sei die schlechteste Form des Zusammenlebens auf dem Kontinent – ausgenommen all jene anderen Formen, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert hat.

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